27.03.2024 / Inland / Seite 4

Hardliner schmeißt hin

SPD: Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses kündigt nach »Entfremdung« von Partei Rückzug aus Politik an

Kristian Stemmler

Er ist einer der lautesten Befürworter von Waffenlieferungen an die Ukraine, beinharter Transatlantiker und kritikloser Unterstützer der israelischen Regierung. Und er war stets ein Liebling der bürgerlichen Medien: der SPD-Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses Michael Roth. Nun hat er, gleichsam in der Hochphase seines Schaffens, seinen Rückzug aus der Politik angekündigt. »Als Politiker muss man sich ohnehin alle vier Jahre fragen, ob man noch will, noch kann, noch darf. Und ich will nicht mehr«, erklärte Roth in einem Interview mit dem Magazin Stern. Bis zur Bundestagswahl 2025 wolle er noch weitermachen: »Danach« sei er »raus«.

Roth sitzt seit 1998 für die SPD im Bundestag. Von 2013 bis 2021 war er Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt, von 2014 bis 2021 zudem Beauftragter der Bundesregierung für die deutsch-französische Zusammenarbeit. Seit 2021 ist er Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag.

Ein Grund seines Rückzuges dürfte darin liegen, dass Roth innerhalb der SPD ziemlich abgewirtschaftet hat. Er sieht nun eine »Entfremdung« von seiner Partei, deren Vorsitzender er einmal werden wollte. Im vergangenen Jahr habe er jedoch gemerkt, dass er mit den »Sitzungen immer mehr fremdele«, ihn »die Gremien störten«, und die kalte »Stimmung darin«, die er mit einem Kühlschrank verglich. Indirekt übte er auch Kritik an Bundeskanzler und Parteikollege Olaf Scholz: Sowohl Partei als auch Fraktion hätten sich diesem »faktisch untergeordnet«, an Scholz »hänge alles«.

Sein »Einsatz für die Ukraine« habe nicht allen gefallen, erklärte Roth weiter. Als er kurz nach Beginn des russischen Einmarschs in das Land gereist sei, hätten ihn manche in der Fraktion nicht einmal mehr gegrüßt. Der Außenpolitiker war bereits am 12. April 2022 gemeinsam mit zwei weiteren prominenten Scharfmachern der Ampel – Anton Hofreiter (Bündnis 90/Die Grünen) und Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) – nach Lwiw in die Westukraine gereist. Danach setzte er sich konsequent für mehr Waffenlieferungen an die Ukraine ein, votierte früh für die Lieferung schwerer Kampfpanzer. Zuletzt kritisierte er SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich, nachdem dieser von einem »Einfrieren« des Ukraine-Kriegs gesprochen hatte.

Für Roth ist Russland Hauptfeind Nummer eins. Im Juli 2022 hatte er erklärt, Sicherheit könne es in Europa »nur noch gegen, nicht mehr mit Russland geben«. Am vergangenen Donnerstag dozierte er im ZDF-»Morgenmagazin«: »Wenn wir den russischen Imperialismus nicht stoppen, dann wird es keinen Frieden in Europa geben.« In Washington sah der SPD-Mann hingegen »ein Höchstmaß an Verantwortungsbewusstsein für Frieden und Stabilität in Europa«, wie er im April 2023 erklärte. Das Vorgehen der israelischen Regierung in Gaza, das inzwischen auf immer mehr Kritik stößt, unterstützte er nahezu vorbehaltlos – noch im Februar hatte er Verständnis für die Drohung Israels gezeigt, die Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens zu Beginn des Ramadan anzugreifen.

Dass er mit seinen Positionen in der SPD zunehmend aneckte, wurde auch deutlich, als der Bundesparteitag Roth im Dezember 2023 bei der erneuten Kandidatur für den SPD-Bundesvorstand auflaufen ließ. Bereits 2019 hatte er zusammen mit der früheren Familienministerin in NRW, Christina Kampmann, bei der ersten Mitgliederwahl für den Parteivorsitz kandidiert.

Als weiteren Grund für den angekündigten Rückzug nannte der SPD-Politiker, der 2022 einige Monate wegen »mentaler Erschöpfung« pausiert hatte, auch die Anforderungen des politischen Betriebes. Spitzenpolitiker benötigten heutzutage »eine absolute Stressresistenz, eine bis ins Übermenschliche gehende mentale und physische Stärke« sowie die Fähigkeit, »sich nicht kirre machen zu lassen, ein überbordendes Selbstbewusstsein«. Für ihn sei stets klar gewesen, dass er nicht als Abgeordneter in Rente gehen wolle. Seit einiger Zeit merke er: »Ich habe den Biss nicht mehr.«

https://www.jungewelt.de/artikel/472213.abgang-bei-transatlantikern-hardliner-schmeißt-hin.html