26.03.2024 / Inland / Seite 5

RKI-Files freigegeben

Protokolle des Robert-Koch-Instituts legen Einflussnahme bei Risikobewertung von Coronavirus nahe

Susanne Knütter

Im Umgang mit dem Coronavirus gab es seit März 2020 offiziell im Grunde nur zwei Sichtweisen – die richtige, wissenschafts- und faktenbasierte Einsicht in die Richtigkeit aller Coronamaßnahmen und die falsche der »Covidioten« und Coronaleugner. Nun kommen neue Zweifel auf. Mit Verweis auf eingeklagte Protokolle des Robert-Koch-Instituts (RKI) berichtete das Onlinemagazin Multipolar am 18. März: »Die im März 2020 verkündete Verschärfung der Risikobewertung von ›mäßig‹ auf ›hoch‹ – Grundlage sämtlicher Lockdown-Maßnahmen und Gerichtsurteile dazu – gründete, anders als bislang behauptet, nicht auf einer fachlichen Einschätzung des RKI, sondern auf der politischen Anweisung eines externen Akteurs – dessen Name in den Protokollen geschwärzt ist.«

Das RKI wies den Vorwurf am Montag zurück. »Das RKI ist in seinen fachlichen Bewertungen von Krankheiten absolut unabhängig«, sagte eine Sprecherin am Montag in Berlin. Ferner hieß es, hinter der Schwärzung stehe »ein interner Mitarbeiter des RKI«. Das Institut habe am Tag darauf die neue Risikobewertung auf einer Pressekonferenz auch öffentlich gemacht.

Allerdings hatte Multipolar das RKI nach eigenen Angaben im März 2020 bereits damit konfrontiert, dass die offizielle Begründung für die Hochstufung der Risikobewertung unplausibel war, und was das Institut auch eingeräumt habe. Nicht nur die Fallzahlen stiegen, sondern auch die Anzahl der Tests. Anstelle einer Verdreifachung der Infektionszahlen gab es einen Anstieg um ein Prozent, wie Multipolar am 18. März zusammenfasste. Um herauszufinden, welche Gründe tatsächlich hinter der Neubewertung des Risikos und dem ersten Lockdown standen, habe Multipolar die Herausgabe der Protokolle des Coronakrisenstabs, meist geleitet vom damaligen Präsidenten des Robert-Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, und dessen Stellvertreter, dem heutigen Chef der Behörde, Lars Schaade, eingeklagt. Im vergangenen Jahr erhielt die Plattform dann mehr als 200 Protokolle mit insgesamt mehr als 1.000 Seiten aus dem Zeitraum Januar 2020 bis April 2021. Allerdings umfangreich geschwärzt. Auch die Rücknahme der Schwärzungen versucht die Plattform derzeit gerichtlich zu erwirken.

Trotz der Schwärzungen geben die Protokolle einen Einblick in die damaligen Diskussionen hinter den Kulissen, wie das ZDF am Sonntag nach einer ersten Prüfung resümierte. Demnach vermerkte das RKI etwa am 16. Dezember, als der zweite Lockdown begonnen hat, »Lockdowns haben zum Teil schwerere Konsequenzen als Covid selbst«. Das Institut habe sich, so ZDF, damals auf Lockdown-Maßnahmen in Afrika bezogen. Im Oktober 2020 stellte die RKI-Runde fest, dass es »keine Evidenz für die Nutzung von FFP2-Masken außerhalb des Arbeitsschutzes« gebe. Die Öffentlichkeit erfuhr davon nichts, ergänzte ZDF. Im Winter galt eine strengere Maskenpflicht; in einigen Bundesländern wurde die FFP2-Maske verpflichtend. Im Januar 2021 notierte der Krisenstab, es müsse für Astra-Zeneca möglicherweise Beschränkungen geben, Daten für ältere Personen seien sehr begrenzt. Nur zwei Monate später, erinnert ZDF, Anfang März, empfiehlt die Ständige Impfkommission (Stiko) den Impfstoff für alle Altersklassen und verweist auf neue Erkenntnisse aus Studien. Im März 2021 befanden die Experten, »das Impfzertifikat soll die Erfassung von Impfwirkung, Spätfolgen etc. ermöglichen, nicht die Grundlage für Kategorien und Vorrechte sein.« Aber Mitte September 2021 wurde die 3G-Regel (geimpft, genesen, getestet) in den Katalog der besonderen Schutzmaßnahmen gegen die Verbreitung des Coronavirus aufgenommen und an Privilegien geknüpft.

»Fast könnte man meinen, dass das RKI die Hochburg aller Kritiker war«, kommentierte Friedrich Pürner, langjähriger Leiter eines bayerischen Gesundheitsamtes, der aufgrund kritischer Aussagen in der Coronazeit nach eigener Aussage »strafversetzt« wurde und jetzt für das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) bei der Europawahl kandidiert. Ansonsten sind die Reaktionen auf die Protokolle bisher eher spärlich. Der frühere CDU-Vorsitzende Armin Laschet forderte im ZDF »Heute Journal« am Sonntag: »Wir müssen alles offenlegen.« Die Protokolle zeigten, dass das RKI Maßnahmen wie Lockdown, Maskenpflicht und 3G-Regel kritischer sah als in der Öffentlichkeit bekannt.

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