25.03.2024 / Politisches Buch / Seite 15

Verflochtene Interessen

Ausgang offen: Georg Auernheimer diskutiert den Krieg in der Ukraine als »strategische Falle«

Albrecht Elsässer

Den inzwischen nicht wenigen Büchern zum andauernden Krieg in der Ukraine hat Georg Auernheimer ein neues hinzugefügt, das besonderes Interesse verdient. Seine Analyse ist von einer zentralen These geleitet, die bereits im Titel anklingt. Dieser lenkt die Aufmerksamkeit auf eine »strategische Falle« und bündelt scheinbar disparate Entwicklungen. Es zählt zu den Stärken des Buches, unterschiedliche Entwicklungen vor Kriegsbeginn in einen inneren Zusammenhang zu bringen.

Der Vorgeschichte des Krieges widmet Auernheimer zwei Kapitel. Er geht dabei bis zum Ende der Sowjetunion 1991 zurück, den Beginn der unmittelbaren Vorgeschichte des Krieges setzt er mit dem Putsch in der Ukraine 2013/14 an. Auernheimer rekapituliert detailliert unterschiedliche Ebenen der Beziehungen zwischen der Russischen Föderation und der Bundesrepublik Deutschland, die bis zu diesem Zeitpunkt existierten. Selbstverständlich nimmt er auch langfristige Strategien und Optionen der USA, ihre »Angst vor einer eurasischen Allianz und Konkurrenz«, in den Blick. Die Leserin und den Leser erwarten ebenso Exkurse zur Rolle der ukrainischen Faschisten sowie Details zur sozialen Lage der Menschen in der Ukraine vor dem Putsch (Stichwort Inflation).

Auernheimer stützt seine titelgebende Hauptthese unter anderem auf die sichtbare Förderung des ukrainischen Nationalismus, der sich den USA als Köder für eine »strategische Falle« anbot, die man dem lange defensiv agierenden Moskau stellen wollte. In der Nichtumsetzung des Minsker Abkommens und auch in der Sabotage der Waffenstillstandsgespräche im Frühjahr 2022 sei der nicht vorhandene Wille des Westens zu einem Ausgleich mit Russland deutlich geworden. Letztlich aber ging, so Auernheimer, Russland in die Falle, indem es die Ukraine im Februar 2022 angriff.

Das bereits vor 2022 große Interesse der USA an der Ukraine belegt Auernheimer mit zahlreichen Stimmen, etwa der von Präsidentenberater Zbigniew Brzeziński (1928–2017): »Ohne die Ukraine hört Russland auf, ein eurasisches Imperium zu sein.« Auernheimer weist auch darauf hin, dass die Ukraine ein Schauplatz im »Krieg um den Dollar« ist, also dem Versuch, die dominante Stellung des Dollars als internationale Reservewährung zu sichern. Und selbstverständlich gibt es vielfältig verflochtene Interessen an den ukrainischen Ressourcen (Gasfelder, riesige Landwirtschaft, Lithium).

Auernheimer fasst die Vorgeschichte zusammen: »Zwischen 1999 und 2009 hat die NATO unter Führung der USA schrittweise frühere Ostblockstaaten, darunter drei ehemalige Sowjetrepubliken, für das Bündnis gewonnen und sich der Russischen Föderation genähert.« Damit sei für Russland »nicht nur der Schutzwall verlorengegangen, den die Sowjetführung nach dem deutschen Vernichtungsfeldzug errichtet hatte«. Schon die sogenannte Orange Revolution habe nämlich gezeigt, »dass die USA die Integration der Ukraine in EU und NATO für den Tag X anstrebten«.

Ein weiteres Kapitel befasst sich mit dem Verlauf des Krieges und mit verpassten Chancen, diesen frühzeitig zu beenden – ein Abnutzungs- und Stellvertreterkrieg auf ukrainischem Boden mit verheerenden Folgen, in dem Verbrechen auf beiden Seiten verübt werden. Kapitel vier ist dem neuen Wettrüsten, der Militarisierung der Gesellschaften, den neuen Blockbildungen, den Rückwirkungen auf die Klimakatastrophe und der zunehmenden Armut in der Welt gewidmet: Konfrontation statt Kooperation.

Am Ende diskutiert Auernheimer aktuelle Bewertungen des Ukraine-Krieges, die in den Ländern der EU und in den USA verbreitet sind. Er hält sowohl eine Durchsetzung und Stärkung amerikanischer Hegemonie als auch ein Scheitern der »Grand strategy« Washingtons für möglich: Die Frage ist, wer am Ende in wessen Falle läuft.

Fest steht bereits im Frühjahr 2024, dass sich im aktuellen »Weltordnungskrieg« das Bild auf dem Einband des Buches nicht mehr aufrechterhalten lässt: drei Bauernfiguren auf dem Schachbrett, davon mit stabiler Bodenhaftung nur die USA. Die Ukraine steht wackeling, der in russische Farben gekleidete Bauer Nummer drei hängt in der Luft. Diese klare Zuordnung und Beschränkung von Stabilität und Instabilität existiert so nicht mehr.

Die Welt ist in Bewegung, einige Länder – vor allem die des globalen Südens – orientieren sich neu: Viele ehemalige Kolonien tragen die Konfrontationspolitik gegenüber Russland auch nach dem russischen Angriff auf die Ukraine nicht mit. Und ein wesentliches Zwischenergebnis lautet: Besonders die Politik der Vereinigten Staaten hat Moskau und Beijing viel enger aneinander gebunden als zuvor.

Auernheimer, Georg: Die strategische Falle. Die Ukraine im Weltordnungskrieg, Papyrossa, Köln 2024; 191 Seiten, 16,90 Euro

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