23.03.2024 / Feuilleton / Seite 10

Nur Mut

Zum Auftakt der Leipziger Buchmesse

Peter Merg

Gelesen wird immer, lautet die frohe Botschaft der Buchmesse, sogar im Print. Fragt sich nur, was. Ob hohe Belletristik oder Unterhaltung, sei ihm einerlei, sagt der S.- Fischer-­Verleger Oliver Vogel dem Deutschlandfunk. Hauptsache, man habe neue Leser, der Rest gäbe sich schon. Das klingt nach einer aufgeräumten Version der schalen Hoffnung, die sich einst Hellmuth Karasek machte: Wenn die Leute Dieter Bohlens Kassenschlager »Nichts als die Wahrheit« kauften, wären sie immerhin in einer Buchhandlung, vielleicht würde der Blick etwas schweifen …

Der dürfte bald auf Barbi Markovićs Prosaband »Minihorror« fallen, für das es dieses Jahr den Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Belletristik gab. Geht mit viel gutem Willen als Roman durch. Viele kurze, oft ironische Passagen über so allerlei Entsetzliches zwischen Klimawandel und Einbauküche. Die Leipziger Politik »mutiger«, bisweilen erratischer Preisvergaben wurde damit fortgesetzt, die allerdings mit einer schleichenden Entwertung einhergeht.

Ebenfalls bepreist wurde bereits zur Eröffnung am Mittwoch der deutsch-israelische Philosoph Omri Boehm. Offiziell für »europäische Verständigung« und seine wackere Verteidigung eines »wahren« liberalen Universalismus, de facto für den Mut, offen von einer föderativen Einstaatenlösung des Israel-Palästina-Konflikts zu träumen. Dass seine nicht ganz neuen Ideen von absoluter Gerechtigkeit und freundschaftlicher Verständigung in der Konfrontation mit der Wirklichkeit auf manch haarige Widersprüche stoßen, zeigte sich, als er zu Beginn seiner Dankesrede einige Störer rügte, die offenkundig abgesprochen die Eröffnungsworte des Bundeskanzlers unterbrochen hatten, offenbar um dessen Unterstützung der israelischen Regierung anzuprangern. Sie hätten sich am Prinzip der freien Rede vergangen, so der Philosoph, der später auch »harte Wahrheiten« über den Nahostkonflikt ausgesprochen wissen wollte. Geredet freilich wird viel, entscheidend sind Handlungen. Und diese werden, so es politische sind, von Interessen bestimmt, nicht von Diskursen. Einen Regierungschef unverständlich anzubrüllen, mag eine hilflose Geste sein, eine etwas alberne noch dazu – eine Gefahr für diese zunehmend repressive denn tolerante Demokratie ist es nicht. Die Welt ist nun einmal zum Schreien, ob wegen Klimakrise, Einbauküchenleben oder Bombenkriegen. Das darf sich auch der Kanzler einmal fünf Minuten anhören. »Wir sind nicht einer Meinung, aber wir haben Sie gehört«, erklärte Frank-Walter Steinmeier, als ihm tags drauf bei einer Rede ähnliches widerfuhr. Will sagen: Zurück zur Tagesordnung.

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