22.03.2024 / Ausland / Seite 7

Kommt die Fremdenlegion?

Frankreich: Einsatzszenarien für Interventionstruppen in Ukraine im Fernsehen diskutiert. Ausländische Söldner längst im Land

Reinhard Lauterbach

Die Diskussion über eine mögliche Entsendung französischer Truppen in die Ukraine wird konkreter. Zwei Tage nachdem der russische Geheimdienstchef Sergej Naryschkin eine Zahl von angeblich 2.000 Soldaten genannt hat, die sich bereits auf einen Einsatz vorbereiteten, haben französische Medien am Donnerstag gemeldet, dass eine im südfranzösischen Nîmes stationierte Einheit der Fremdenlegion vorerst nach Rumänien verlegt werden solle. Im Fernsehsender LCI stellte ein Militärexperte zwei denkbare Szenarien eines französischen Militäreinsatzes vor: entweder in Stellungen auf dem Westufer des Dnipro als »rote Linie« für einen russischen Vormarsch oder entlang der Grenze zwischen der Ukraine und Belarus, um die dort gebundenen ukrainischen Kräfte für den Einsatz an der Front freizumachen. Das erste Szenario liefe faktisch auf eine Zweiteilung der Ukraine entlang des Flusslaufs hinaus, das zweite würde bedeuten, dass der französische Einsatz eher symbolisch bliebe.

Unterdessen hat der ukrainische Außenminister Dmitro Kuleba die Perspektive eines französischen Expeditionskorps herunterzuspielen versucht. Gegenüber der italienischen Zeitung La Stampa sagte er, Kiew habe nie um Kampftruppen gebeten, sondern nur darum, Ausbilder zu schicken, um ukrainische Soldaten im eigenen Land trainieren zu können. Auch aus dem Parlament in Kiew kamen abwiegelnde Stellungnahmen. Die Ukraine sei »stolz auf ihre Soldaten« und sicher, dass diese den Kampf auch ohne ausländische Unterstützung gewinnen könnten. Außerdem müsse das Parlament jedem Einsatz ausländischer Soldaten auf ukrainischem Boden vorab zustimmen.

Das ist zumindest ungenau, denn ausländische Soldaten sind auch jetzt schon in der Ukraine aktiv. Das hat zuletzt der polnische Außenminister Radosław Sikorski bestätigt. Er sagte am Mittwoch gegenüber dpa, es sei ein »offenes Geheimnis«, dass ausländische Militärs in der Ukraine kämpften. Er bestätigte damit indirekt, was auch aus kürzlichen Äußerungen von Bundeskanzler Olaf Scholz hervorgeht.

Weniger ist über die Anzahl ausländischer Militärs in der Ukraine bekannt. Zu unterscheiden ist auch zwischen Soldaten im aktiven Dienst und Söldnern, die sich für die ukrainische Fremdenlegion haben anwerben lassen. Zur ersten Gruppe gehören vermutlich einige hundert Ausbilder, vor allem aus Polen, Großbritannien und den USA, die ukrainische Militärs schulen. Bekannt ist, dass die NATO etwa auf dem grenznahen Truppenübungsplatz Jaworiw bei Lwiw ein Trainingszentrum betreibt. Dieses war auch schon mehrfach Ziel russischer Raketenangriffe. Die ukrainische »Internationale Legion« umfasst nach Angaben aus Kiew etwa 20.000 Kämpfer, unter anderem aus Kanada, Polen, den USA und Großbritannien.

Aus einem FAZ-Bericht aus der Frühphase des Krieges ging hervor, dass wohl auch einzelne ehemalige Bundeswehr-Soldaten in die Ukraine gegangen sind. Demnach handelt es sich aber nicht um aktive Soldaten, sondern um Leute, die ihre militärischen Fähigkeiten in der Bundeswehr – oder auch in anderen westlichen Armeen – erworben und sich nach dem Ende ihres Dienstes dort in die Ukraine verdingt haben. Viele sollen aber auch nach einigen Wochen oder Monaten den Dienst in der Ukraine wieder quittiert haben. Dafür wurden in einzelnen Berichten ukrainischer oder westlicher Medien unterschiedliche Gründe genannt: von Unzufriedenheit mit der im ukrainischen Militär grassierenden Korruption bis zu der Einsicht, dass in der Ukraine ein »echter« Krieg geführt wird und das Risiko, in diesem umzukommen, höher ist, als sich mancher Söldner anfänglich vorgestellt haben mag. Hinzu kommt, dass nach gelegentlich in ukrainischen und russischen Medien auftauchenden Berichten die ukrainische Seite die ausländischen Söldner ähnlich einsetzt wie Russland seine Strafbataillone aus beurlaubten Kriminellen: als Kanonenfutter an besonders gefährdeten Frontabschnitten.

Meistens muss man die Hinweise auf ausländische Söldner eher in Meldungen über Todesfälle »eigener« Landsleute in der Ukraine zusammensuchen. So schrieb die Seite Telepolis von einigen Dutzend Fällen in der Ukraine umgekommener kanadischer Staatsbürger. Die dort angegebenen Zahlen sind aber mit einiger Sicherheit ebenso untertrieben, wie russische Meldungen über Verluste von annähernd der Hälfte der ausländischen Söldner übertrieben sein dürften. Beide Kriegsparteien halten eigene Verluste nach Möglichkeit geheim und überzeichnen die der Gegenseite.

An der Front gab es in den vergangenen Tagen offenbar keine größeren Veränderungen. Russische Truppen versuchten westlich von Awdijiwka und im Südabschnitt der Front weiter nach Westen bzw. Norden vorzudringen. Die New York Times berichtete in einer Reportage von der südlichen Front, ukrainische Soldaten hätten offen zugegeben, sie versuchten das seit dem Sommer 2023 umkämpfte und inzwischen völlig zerstörte Dorf Rabotino nur aus propagandistischen Gründen zu halten, um der Kriegsmüdigkeit in der ukrainischen Gesellschaft ein Beispiel »erfolgreichen Widerstands« entgegenzusetzen.

In der Nacht zum Donnerstag wurden erstmals seit sechs Wochen wieder Ziele in der ukrainischen Hauptstadt Kiew mit Raketen angegriffen. Angeblich wurden alle 31 anfliegenden Raketen abgeschossen. Durch herabfallende Trümmer gerieten jedoch mehrere Wohnhäuser in Brand. Die Zahl der Verletzten wurde am Vormittag mit 15 angegeben. Aus den ukrainischen Berichten ging erneut hervor, dass es sich bei den Verlusten um »Kollateralschäden« der ukrainischen Raketenabwehr handelte, nicht um gezielten Beschuss der Wohnviertel.

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