22.03.2024 / Ausland / Seite 6

Heiße Phase gegen Atompläne

Frankreich: Enteignungsverfahren zum Bau von Endlager für radioaktive Abfälle treffen auf Widerstand

Luc Śkaille, Bure

Anfang März erhielten rund 300 Anrainer des atomaren »Forschungsendlagers« bei Bure unerfreuliche Post: Bescheide, die die Übertragung ihrer Grundstücke an Frankreichs Atomstaat vorsehen. Die französische Agentur für die Verwaltung radioaktiver Abfälle (Agence nationale pour la gestion des déchets radioactifs, ANDRA) beschleunigt somit die Verwaltungsprozeduren, um sich umfangreiche Flächen im Umfeld des geplanten Endlagers einzuverleiben.

Nach drei Jahrzehnten der Auseinandersetzung um das wohl größte jemals geplante Endlager für Atommüll ist die Bedrohung im Landkreis spürbarer denn je. Somit verwundert es nicht, dass etwa der Gemeinderat von Mandres-en-Barrois sich am 15. März geschlossen gegen die Abgabe von Flächen an die ANDRA stellte.

Abgesehen davon, dass es für das Endlager noch keine Baugenehmigung gibt, fehlen dem Staat aktuell rund 100 Hektar Land, besonders entlang der geplanten Castortrasse. Der Unmut ergreift vor allem Landwirte, deren Anbauflächen teils kreis- oder pilzförmig zerschnitten wurden, als Ausdruck vollkommener Praxisferne der Atommüllagentur.

Mit rund einer Milliarde Euro an bisher geleisteten Subventionen hat die ANDRA die Bevölkerung zu korrumpieren versucht. Eine Tagesmutter aus Tréveray sagte gegenüber jW: »Das Füllhorn hat die Bewohner gespalten. Aber alle merken, dass vergoldete Bürgersteige niemand nützen. Die Unzufriedenheit wächst mit den eingeleiteten Enteignungen. Es wurde immer von Forschung gesprochen, und jetzt meinen sie, ihr Atomklo einfach umsetzen zu können.« Auch ein Landwirt, der den Hof seiner Eltern übernehmen will, aber einen weiteren Flächentausch ablehnt, ist schockiert: »Jetzt zeichnet sich eine vollkommene Verwüstung meiner Heimat ab.«

Zu den rund 300 Haushalten, die bisher Bescheide der ANDRA erhalten haben, dürften entlang des Ornain-Tals noch etliche hinzukommen. Die anvisierte Baustelle der Atomtrasse bedroht außerdem das Gemüsebaukollektiv »Les Semeuses« und das linke Wohn- und Kulturprojekt »La Gare« am alten Bahnhof von Luméville. Dort fand im vergangenen Sommer ein kleinbäuerliches Widerstandscamp mit rund 1.000 Teilnehmern statt (jW berichtete).

Die obligatorischen Anhörungen zur Parzellenverteilung finden nun bis zum 12. April in den Gemeinden statt. Danach wird die nationale Kommission für die öffentliche Debatte der Präfektur die »Zufriedenheit« der Bevölkerung berichten. Das neuerliche Scheinbeteiligungsverfahren ist der nächste Schritt, bevor ein Enteignungsrichter auf Weisung der Präfektur jenen, die eine gütliche Einigung ablehnen, die definitive Enteignung unterbreitet. Mit einer Demonstration war die Antiatombewegung bereits am ersten Tag vor dem Rathaus in Gondrecourt zugegen. Am Abend des 18. März eskalierte die Wut bei der Auftaktveranstaltung der Endlageragentur in Mandres.

Zwei Tage vor einem Infoabend der Bürgerinitiativen wollte die dortige Rathausspitze, welche sich gerade noch gegen die Enteignungen gestellt hatte, der ANDRA den Festsaal für eine Präsentation zur Verfügung stellen. In Ermangelung einer funktionstüchtigen Stromversorgung wurde die Veranstaltung in den engen Rathaussaal verlegt. Nach verbalen Auseinandersetzungen mussten die beiden Referenten unter Personenschutz den Raum verlassen. Besonders einer der beiden, der während einer Waldbesetzung Benzin auf Umweltschützer gekippt hatte, wurde mit Mehl und Eiern beworfen, geschubst und beschimpft.

Die Projektgegner wollen weiterhin »mit allen juristischen Mitteln« gegen die Enteignungsverfahren vorgehen: »Wir stehen am Anfang der heißen Phase, es gilt, jeden Quadratmeter zu verteidigen«, sagte die Sprecherin der Rechtshilfegruppe »Front juridique contre CIGEO«. Der Protestkalender lässt erahnen, dass dies nicht die einzige Ebene der Auseinandersetzung bleiben wird: Neben einer Antiatomwoche im April und dem Bure’Lesque-Festival im August jährt sich der Todestag von Sébastien Briat zum 20. Mal. Der aus der Nähe von Bure stammende Aktivist war am 7. November 2004 beim Versuch, einen Castortransport nach Gorleben zu blockieren, tödlich verunglückt.

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