22.03.2024 / Titel / Seite 1

EU erhält »Kriegsbasis«

Gipfel für Stärkung der Rüstungsindustrie und mehr Waffenlieferungen an Ukraine. Habeck verlangt, sich auf Landkrieg einzustellen

Arnold Schölzel

Hochfahren der EU-Rüstungsindustrie mit EU-Finanzen, mehr Waffen für Kiew, Krieg in Gaza sowie die EU-Erweiterung – dazu erneut massive Bauernproteste vor der Tür in Brüssel: Die Tagesordnung des »Europäischen Rats« der EU-Staats- und Regierungschefs am Donnerstag und an diesem Freitag enthielt reichlich Stoff für Krach. Einigkeit herrscht nur im ersten Punkt: Dem militärisch-industriellen Komplex Westeuropas sollen Milliarden Euro in den Rachen geworfen werden. Im Einladungsschreiben zum Gipfel hatte Ratspräsident Charles Michel das als oberste Priorität gesetzt: Es sei »Zeit für einen echten Paradigmenwechsel in bezug auf unsere Sicherheit und Verteidigung«, und sogar »höchste Zeit, radikale und konkrete Schritte zu unternehmen, um verteidigungsbereit zu sein und die Wirtschaft der EU auf eine ›Kriegsbasis‹ zu stellen«. Das bedeute, »mehr auszugeben und gemeinsam mehr einzukaufen, also effizienter«. Die Rüstungsindustrie müsse schneller an private und öffentliche Mittel kommen, »regulatorische Belastungen und Hindernisse« müssten weniger werden.

Frankreich führte derweil seine Debatte um die Entsendung von Soldaten in die Ukraine weiter. Obwohl Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) dem wiederholt eine Absage erteilt hat, griff Vizekanzler Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) das Thema indirekt auf. Er erklärte am Mittwoch abend auf einer Veranstaltung der Zeitungen des Dieter-von-Holtzbrinck-Konzerns in Berlin: Die EU müsse ihre »eigenen Hausaufgaben in der Wehrhaftigkeit machen«. Nach 1990 habe die Bundesregierung eine Armee nur für »militärische Polizeieinsätze« für nötig gehalten. »Aber dass jetzt auf einmal wieder der Landkrieg zurückgekommen ist, darauf sind wir nicht vorbereitet. Und das müssen wir tun.« Habeck sprach sich für ein Hochfahren der Rüstungsproduktion aus, auch Einsatzszenarien zur Landesverteidigung müssten reaktiviert werden.

Ersteres verlangte auch Scholz am Donnerstag in Brüssel, zu letzterem schwieg er. Die Aufrüstung Kiews will der Kanzler teilweise durch Klau russischen Vermögens finanzieren. Zinsgewinne aus den beschlagnahmten rund 200 Milliarden Euro sollen für Waffen und Munition verwendet werden. Scholz behauptete: »Da geht es um die Erträge, die niemandem zustehen, und die deshalb von der EU verwendet werden können«. Putins Pressesprecher Dmitri Peskow hatte in Moskau der EU »Vergeltung« angedroht, wenn sie das russische Vermögen antaste. Österreichs Kanzler Karl Nehammer meinte dazu: »Für uns Neutrale muss sichergestellt sein, dass das Geld (…) nicht für Waffen und Munition ausgegeben wird.« Der scheidende portugiesische Ministerpräsident António Costa verwies auf »juristische Probleme«. Frankreich, Estland und Griechenland setzten sich dafür ein, sogenannte Euro-Bonds – gemeinsam aufgenommene Schulden nach dem Vorbild von Maßnahmen in der Coronapandemie – zu emittieren. Scholz lehnt das ab.

Zu Beginn berieten die Teilnehmer des Gipfels mit UN-Generalsekretär António Guterres über den Krieg in Gaza. Guterres forderte erneut einen »Waffenstillstand« und nannte die Zahl getöteter Zivilisten »beispiellos«. Scholz sprach sich für einen »länger anhaltenden Waffenstillstand« aus, »der auch verbunden ist mit der Freilassung aller Geiseln – und was mir auch wichtig ist, der Herausgabe der Gestorbenen«. Spanien und Irland hatten vor dem Gipfel eine schärfere Sprache gegenüber Israel verlangt.

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