19.03.2024 / Inland / Seite 2

»›Bruderhähne‹ großzuziehen lohnt sich nicht«

Geflügellobby warnt bei Kauf von Ostereiern. Gesetz gegen Kükentöten kann in EU leicht umgangen werden. Ein Gespräch mit Annemarie Botzki

Kristian Stemmler

Der Zentralverband der deutschen Geflügelwirtschaft, ZDG, hat gewarnt, dass zu Ostern wieder Eier angeboten werden, bei deren Produktion die Brüder der Legehennen getötet worden sind. Ist das Kükentöten in Deutschland nicht verboten?

Ja, hierzulande ist das Töten von Küken vor gut zwei Jahren verboten worden, aber nur wenige Nachbarländer halten es ebenso. Wir haben einen freien Binnenmarkt in Europa und daher können durchaus Eier aus dem Ausland importiert werden, etwa aus den Niederlanden, wo das Kükentöten immer noch gängige Praxis ist. Zudem kann man nicht nur Eier, sondern auch weibliche Küken importieren. In diesem Fall werden die männlichen Küken im Ausland getötet und die weiblichen an Aufzuchtbetriebe in Deutschland geliefert. Wenn die Tiere ein gewisses Alter erreicht haben, kommen sie zu den Legebetrieben.

Warum werden die männlichen Küken überhaupt getötet?

Die Eierindustrie ist sehr spezialisiert. Die Legehennen sind darauf hin gezüchtet, so viele Eier wie möglich zu legen. Da fallen die männlichen Küken komplett heraus, da sie keine Eier legen können. Und die »Bruderhähne« großzuziehen und für die Fleischproduktion zu nutzen lohnt sich wirtschaftlich nicht – weil diese Tiere einseitig gezüchtet sind und zuwenig Fleisch ansetzen. Für die Fleischproduktion gibt es wiederum Masthühner, die darauf gezüchtet sind, so schnell wie möglich eine dicke Brust zu bekommen.

Halten Sie die Warnung des ZDG für berechtigt?

Es ist tatsächlich recht einfach für eine EU-weite Industrie, das Verbot des Kükentötens zu umgehen. Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass Eier auf den Markt kommen, die von Hühnern stammen, deren Bruderhähne getötet wurden. Dabei geht es nicht nur um frische Eier, die man im Supermarkt kauft. Eier werden in großer Zahl auch in Gebäck oder Nudeln verarbeitet oder in der Gastronomie. Da ist oft völlig unklar, woher diese Eier kommen.

Wie lässt sich erreichen, dass man Eier kauft, bei deren Produktion keine Küken getötet wurden?

Verbraucher können sich zwar an Kennzeichnungen wie dem »Bruderhahn«-Logo orientieren. Diese Zertifizierungen geben Aufschluss darüber, dass die männlichen Küken in diesen Betrieben nicht getötet werden. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass diese Logos keine Informationen über die Lebensbedingungen der Legehennen selbst oder deren Gesundheitszustand liefern – und der ist in vielen Fällen dramatisch schlecht: Weil das viele Eierlegen dem Körper Kalzium entzieht, brechen den Tieren unter ihrem eigenen Körpergewicht die Knochen. 97 Prozent der Legehennen haben zum Beispiel gebrochene Brustbeine. Und das Problem besteht in allen Haltungsformen.

Anfang 2023 hatte Foodwatch aufgedeckt, dass Legehennenbrütereien das Verbot des Kükentötens umgangen hatten.

Wir hatten uns damals Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen genauer angesehen, wo die Hälfte aller Legehennen gehalten werden. Unsere Recherche ergab, dass einige Betriebe die Bruderhähne einfach ins Ausland exportiert hatten. Eine Brüterei gab tatsächlich offiziell zu, dass die männlichen Tiere ins Ausland gebracht und dort getötet werden. Wir wollen überprüfen, ob das nicht rechtlich verboten ist: Wenn hierzulande das Töten von männlichen Küken untersagt ist, darf ein Betrieb dann die Küken über die Grenzen schaffen und dort töten lassen? Nach unserer Ansicht widerspricht das dem Gesetz – deshalb haben wir diesen Betrieb verklagt.

Welche Lösungen schlägt Foodwatch vor?

Das Verbot des Kükentötens ist nach unserer Einschätzung nur ein Herumdoktern an einem kaputten System. Es soll den Verbrauchern ein gutes Gewissen garantieren und von den Problemen der Eierlegeindustrie ablenken. Es schlüpfen immer noch Millionen Brüderhähne in Deutschland, und niemand kann genau sagen, was mit ihnen passiert. Es braucht ein EU-weites Verbot des Kükentötens, damit die Tiere nicht einfach im Ausland getötet werden können. Die langfristige Lösung muss aber der Umstieg auf sogenannte Zweinutzungshühner sein: weg von den auf Hochleistung gezüchteten Hühnerrassen und zurück zu robusteren und gesünderen, die sowohl Eier legen als auch genug Fleisch für die Mast ansetzen.

Annemarie Botzki arbeitet bei Foodwatch Deutschland und ist dort für Recherche und Kampagnen zuständig

https://www.jungewelt.de/artikel/471669.eierkauf-zu-ostern-bruderhähne-großzuziehen-lohnt-sich-nicht.html