18.03.2024 / Politisches Buch / Seite 15

Nicht länger unsichtbar

Verborgene Heldinnen: Zum zweiten Mal präsentiert Florence Hervé Biographien von Frauen im antifaschistischen Widerstand

Matthias Rude

Florence Hervé versteht sich als »Zweitzeitzeugin«: Sie möchte die Geschichten der zahlreichen Widerstandskämpferinnen, denen sie begegnet ist, bewahren und weitererzählen. Das sagte sie bei der Vorstellung ihres neuen Buches »Ihr wisst nicht, wo mein Mut endet« am 13. März im Stuttgarter Hotel Silber, wo sich einst die Gestapo-Zentrale für Württemberg befand. Heute gibt es hier eine Gedenkstätte. Die deutsch-französische Autorin und Verfasserin zahlreicher Bücher zur Frauenbewegung bedankte sich ausdrücklich bei allen Autorinnen, deren Mitarbeit die Herausgabe eines zweiten Bands mit Porträts über Frauen im Widerstand gegen Faschismus und Krieg ermöglicht hat.

Anknüpfend an den ersten Band »Mit Mut und List« (2020) werden rund 80 weitere Frauen aus über 20 europäischen Ländern vorgestellt, die sich der Terrorherrschaft der deutschen Faschisten und ihrem Eroberungskrieg widersetzt haben. Sie haben dabei, wie Hervé betont, nicht nur »ihr Leben riskiert und oft verloren«, sondern auch »mit patriarchalischen Strukturen gebrochen und sich von traditionellen Geschlechterrollen befreit«.

Das Buch beleuchtet auch weniger bekannte Fakten aus dem Leben prominenter Persönlichkeiten. So ist beispielsweise Josephine Baker als Sängerin und Tänzerin weltberühmt, aber wer weiß schon, dass sie jüdische Flüchtlinge versteckte und ein Waffenlager für die französische Résistance aufbaute? Ein Großteil der vorgestellten Frauen ist hingegen bislang kaum bekannt – und viele Kämpferinnen werden namenlos bleiben: Über ein Drittel der griechischen Frauen beteiligten sich am Widerstand gegen die Besatzung. In der Sowjetunion kämpften laut Schätzungen eine Million Frauen in der Roten Armee und als Partisaninnen – historisch einzigartig. Damit hatten, wie es im Buch heißt, die sowjetischen Frauen unter ihren Geschlechtsgenossinnen den größten Anteil an der Befreiung Europas vom Faschismus. Legendär sind die »Nachthexen« – das sowjetische Fliegerregiment, das nächtliche Luftangriffe auf deutsche Truppen flog und ausschließlich aus Frauen bestand.

In der Bundesrepublik sind Gruppen wie die Edelweißpiraten oder die Rote Kapelle inzwischen ein Begriff. Weniger bekannt ist der Internationale Sozialistische Kampfbund (ISK). Ihm gehörte Hilde Meisel an, »eine der vielen weitgehend in Vergessenheit geratenen Frauen, die ihr Leben ganz dem Kampf gegen das Naziregime verschrieben hatten«, wie es im Beitrag über sie von Sabine Bade heißt. Bereits mit 15 Jahren schloss Meisel sich dem ISK an, war für dessen Organ Der Funke als Korrespondentin in Paris tätig. 1945 wurde sie in Österreich auf der Flucht angeschossen und erlag wenig später ihren Verletzungen. Auf ihrem Grabstein steht: »Sie lebte und starb im Dienste der sozialistischen Idee.«

Viele der Biographien enden mit dem gewaltsamen Tod. Die titelgebende Zeile stammt aus einem Gedicht von Marianne Cohn – sie rettete mehr als 200 jüdische Kinder vor der Deportation, flog 1944 in Frankreich auf, wurde von der Gestapo mit Stiefeln und Schaufeln massakriert. Wera Woloshina, die für die Sowjetunion hinter den deutschen Linien kämpfte, wurde gefangengenommen und gefoltert. In ihren letzten Momenten am Galgen stimmte sie die Internationale an.

Es handelt sich um kurze Porträts, wenige Seiten lang, mit weiterführender Literatur. In beiden Bänden zusammen sind nun fast 160 Widerstandskämpferinnen porträtiert. Ein Register für beide Bände erleichtert die Suche. Aber entstanden ist mehr als eine Sammlung von Biographien – nämlich bewegende und inspirierende Lektüre, die nicht nur Einblicke in die Frauengeschichte verschafft, sondern auch zur Auseinandersetzung mit der aktuellen politischen Situation anregt. »Noch immer sind (zu) viele Widerstandskämpferinnen unsichtbar«, stellt die Herausgeberin im Vorwort fest. Es ist also zu hoffen, dass weitere Bände folgen werden. Bei der Buchpremiere in Stuttgart konnte Hervé, die am 17. April ihren 80. Geburtstag feiert, nicht versprechen, dass sie diese Arbeit auf sich nehmen wird – sie hofft, dass jüngere Mitstreiterinnen sie übernehmen. Fest steht: Angesichts der erneuten Faschisierungstendenzen in Europa ist sie bitter nötig.

Florence Hervé (Hrsg.): Ihr wisst nicht, wo mein Mut endet. Europäische Frauen im Widerstand gegen ­Faschismus und Krieg. Papyrossa, Köln 2024, 317 Seiten, 22,90 Euro

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