18.03.2024 / Inland / Seite 4

Früh übt sich

FDP-Bildungsministerin fordert »Zivilschutzübungen« und Vorbereitung auf Kriegsfall in Schulen. Kritik von Linke und CDU

Kristian Stemmler

»Früh übt sich, was ein Meister werden will«, sagt der Schweizer Nationalheld Wilhelm Tell in Friedrich Schillers gleichnamigen Drama. Damit erklärt er seiner Frau, warum die eigenen Söhne bereits das Armbrustschießen erlernen: zur »Verteidigung«. Mag sein, dass Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) sich am Wochenende von der Lektüre inspirieren ließ. Die selten öffentlich in Erscheinung tretende Ministerin sorgte mit einem überraschenden Vorstoß für Aufsehen und vor allem Kritik – von seiten der Partei Die Linke ebenso wie von CDU-Politikern. Gegenüber den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Sonnabend) erklärte Stark-Watzinger es zur Aufgabe der Schulen, junge Menschen auf den Kriegsfall vorzubereiten. Sie sprach sich für sogenannte Zivilschutzübungen an Schulen aus, warb für die Auftritte von Jugendoffizieren in den Klassen und kritisierte »Zivilklauseln« an Hochschulen.

Die Gesellschaft müsse sich »insgesamt gut auf Krisen vorbereiten« – von einer »Pandemie über Naturkatastrophen bis zum Krieg«, argumentierte die FDP-Politikerin. Daher gehöre »Zivilschutz«, also Maßnahmen, die der Gefahrenabwehr zum Schutz der Zivilbevölkerung im Krisen- oder Katastrophenfall dienen, auch in die Schulen. Ziel müsse sein, »unsere Widerstandsfähigkeit zu stärken«. In Großbritannien gehörten Übungen für den Katastrophenfall zum schulischen Alltag. En passant forderte sie die Schulen dazu auf, ein »unverkrampftes Verhältnis zur Bundeswehr« zu entwickeln. Es sei wichtig, dass Jugendoffiziere in die Schulen kommen und berichten, was die »Bundeswehr für unsere Sicherheit« tue. Dass es dagegen Vorbehalte gebe, könne sie nicht nachvollziehen.

Zumindest die Forderung nach Zivilschutzübungen an Schulen ging selbst Unionspolitikern zu weit. »Es hilft nicht, der Bevölkerung und insbesondere Kindern und Jugendlichen Angst zu machen«, kritisierte die schleswig-holsteinische Bildungsministerin Karin Prien (CDU) am Sonnabend. Der bildungspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Thomas Jarzombek (CDU), erklärte gegenüber Bild am Sonntag: »Wir müssen unsere Kinder schultüchtig machen und nicht kriegstüchtig.« Jedes vierte Kind lerne in der Grundschule nicht richtig lesen und schreiben – »da müssen wir ran«.

Kritik an den Forderungen von Stark-Watzinger kam auch von den Linken. Heidi Reichinnek, Kovorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, schrieb am Sonnabend beim Kurznachrichtendienst X: »Zivilen Katastrophenschutz stärken und vermitteln, ja, aber Schulen dürfen nie ein Ort der Kriegsvorbereitung sein.« Die EU-Abgeordnete Özlem Demirel (Linke) erklärte ebenfalls auf dem Kurznachrichtendienst: »Irgend etwas läuft gewaltig falsch hier: Jetzt heißt es, Schüler sollen auf den Krieg vorbereitet werden.« Das sei die erste Schlagzeile, mit der sie die Bildungsministerin wahrnehme, so Demirel. Währenddessen liegen, hieß es weiter, Schulen brach.

Kai Gehring (Bündnis 90/Die Grünen), Vorsitzender des Bildungsausschusses im Bundestag, erklärte gegenüber Bild am Sonntag, die »Zeitenwende« werfe zwar neue friedens- und sicherheitspolitische Fragen auf, dennoch irritierten einzelne Aussagen der Bildungsministerin. Die saarländische Bildungsministerin, Christine Streichert-Clivot (SPD) stimmte Stark-Watzinger hingegen zu und plädierte für eine umfassende Vorbereitung von Schülern auf mögliche Krisen.

Beifall erntete Stark-Watzinger ebenso vom Deutschen Lehrerverband. »Der Ukraine-Krieg schafft ein neues Bewusstsein für militärische Bedrohung, das auch an Schulen vermittelt werden muss«, erklärte Verbandspräsident Stefan Düll gegenüber Bild am Sonntag. Er erwarte von der Ministerin, dass sie jetzt das Gespräch mit den Bildungsministern der Bundesländer suche. »Eine Absichtserklärung reicht nicht, jetzt muss im Politikunterricht zum Ukraine-Krieg und zur gesamteuropäischen, ja globalen Bedrohungslage gelehrt werden«, so Düll. Und sowieso: Wer die Erwachsenen kriegstüchtig braucht, fängt am besten bei den Kleinsten an.

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