14.03.2024 / Ausland / Seite 7

Atomare Rhetorik

Ukraine versucht, russische Treibstoffproduktion zu lähmen. Russland laut Putin bereit für Atomkrieg

Reinhard Lauterbach

Die Ukraine hat in der Woche vor den russischen Präsidentschaftswahlen ihre Drohnenangriffe auf Ziele in Russland fortgesetzt. Von russischer Seite hieß es, allein über dem grenznahen Gebiet Woronesch seien in der Nacht zum Mittwoch 30 ukrainische Drohnen abgefangen worden. Insgesamt seien 58 ukrainische Drohnen abgeschossen worden. Etliche weitere kamen aber offenbar durch und beschädigten Raffinerien in der Stadt Nowoschachtinsk im Bezirk Rostow am Don sowie in Rjasan 130 Kilometer südlich von Moskau. Zuvor hatte die Ukraine bereits am Dienstag eine Raffinerie bei Nischni Nowgorod angegriffen und dort nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters etwa die Hälfte der Produktionskapazität lahmgelegt.

Parallel zu den ukrainischen Drohnenangriffen auf russische Raffinerien haben russische Söldner in ukrainischen Diensten Angriffe auf die Bezirkshauptstädte Belgorod und Kursk angekündigt. Sie forderten die Zivilbevölkerung auf, die Städte schnellstmöglich zu verlassen. Absicht dieser Ankündigungen ist erkennbar, Panik zu säen.

An der Front hat Russland nach eigenen Angaben das Dorf Newelske im Bezirk Donezk unter seine Kontrolle gebracht. Die ukrainische Seite behauptete dagegen, der Ort sei weiterhin zur Hälfte in ukrainischer Hand. Weitere größere Kampfhandlungen gab es offenbar nicht; das US-amerikanische »Institute for the Study of War« berichtete zwar von russischen Geländegewinnen an mehreren Frontabschnitten, allerdings offenbar eher in freiem Gelände als in Form der Eroberung von Ortschaften.

Unterdessen hat der russische Präsident Wladimir Putin erklärt, sein Land sei für einen Atomkrieg bereit. In einem Interview für den ersten Kanal des staatlichen Fernsehens sagte er, aus militärisch-technischer Sicht sei Russland bereit, Atomwaffen einzusetzen, wenn die Existenz des russischen Staates bedroht sei. Seine nuklearen Waffen seien moderner als die anderer Länder. Es habe aber nie die Notwendigkeit bestanden, Atomwaffen in der Ukraine einzusetzen. Diese Äußerung lässt die Option offen, dies zu einem künftigen Zeitpunkt anders zu bewerten. Putin erklärte auch, Russland sei zu Gesprächen – nicht »mit der«, sondern – »über die« Ukraine bereit, sofern diese »auf den Realitäten« beruhten, also die bisherigen russischen Eroberungen in der Ukraine anerkennen.

Parallel zu diesen Äußerungen Putins erklärte das Moskauer Außenministerium, die von der internationalen Atomenergieagentur IAEA verlangte Rückgabe des AKW Saporischschja am Dnipro-Ufer an die Ukraine komme nicht in Frage. Das Kraftwerk sei mit der Eroberung der Anlage im März 2022 »in die russische Atomfamilie zurückgekehrt«, hieß es in einer Stellungnahme des Ministeriums. Derzeit ist die Anlage mit ihren insgesamt sechs Reaktoren stillgelegt; sie hatte vor dem Krieg etwa 20 Prozent zur ukrainischen Stromproduktion beigetragen.

Dass Wladimir Putin mit seinem Interview die Frage einer Anwendung von Atomwaffen durch Russland aktiv zum Thema machte, kann damit zu tun haben, dass die russischen Chancen auf größere Geländegewinnen in der Ukraine möglicherweise faktisch geringer sind, als viele propagandistische Artikel auf russischen Seiten behaupten. So fielen vor einigen Tagen zwei Artikel auf der »linkspatriotischen« Seite ­svpressa. ru auf. Der eine Text zog eine sehr ernüchterte Bilanz über die Kampffähigkeit der russischen Schwarzmeerflotte. Der Autor stellte offen die Kompetenz der Kommandeure der Flotte in Frage, die offenbar Hinweise eines zivilen Schiffs auf angreifende ukrainische Drohnen über Stunden ignoriert hätten, bevor diese ein russisches Landungsschiff versenken konnten. Der andere Text schilderte, wie die Ukraine nach eigenen – und an dieser Stelle nicht in Zweifel gezogenen – Angaben große Teile der Industriebetriebe in Dnipro (Dnjepropetrowsk) und der Nachbarstadt Kamenskoje (Dnjeprodserschinsk) in praktisch uneinnehmbare Festungen verwandelt habe. Dies bedeutet angesichts der verbreiteten Spekulationen über eine eventuelle Eroberung von Dnipro und der dortigen Brücken im Laufe des Jahres eine erhebliche Dosis Ernüchterung.

https://www.jungewelt.de/artikel/471359.ukraine-krieg-atomare-rhetorik.html