13.03.2024 / Ansichten / Seite 8

Schleim und Selbstmitleid

25 Jahre NATO-Osterweiterung

Arnold Schölzel

Am 12. März 1999 traten die Tschechische Republik, Polen und Ungarn als erste Länder des im Westen so genannten Ostblocks der NATO bei. Zwölf Tage später gab sich der Pakt völkerrechtswidrig selbst das Mandat zum Krieg und startete seinen Angriff auf Jugoslawien. Die dazu gereichte Moral hatte das Ehepaar Clinton ausgetüftelt: Es handle sich um eine »humanitäre Intervention« des Guten gegen das Böse, also um Selbstverteidigung – mit Uranmunition, Streubomben, Massakern an Zivilisten und Vergiftung durch zerstörte Chemiefabriken. Die BRD war unter Führung von SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit dabei, Belgrad wurde zum dritten Mal in einem Jahrhundert mit deutschen Bomben belegt. Die Osterweiterung war innerhalb von Tagen ein voller Erfolg, die Anschlussüberfälle auf Afghanistan, den Irak, Syrien und Libyen konsequent.

US-Außenministerin Madeleine Albright hatte die neuen Mitglieder am 12. März 1999 mit dem Satz begrüßt: »Wir werden die Linie, die Stalins blutiger Stiefel in Europa gezogen hat, Schritt für Schritt und systematisch auslöschen.« Die regierenden Antikommunisten in Prag, Warschau und Budapest wollten das auch: Das Ergebnis des Zweiten Weltkrieges revidieren. Dazu gehörte, den in Osteuropa wachen Antifaschismus zu beseitigen, alte und neue Nazis waren eingeladen.

Gemeinsam wähnten sich die neuen Paktmitglieder unter dem Schirm der »einzigen Weltmacht« auf der richtigen Seite der Geschichte. Russland schien 1999 ausgeschaltet und leichte Beute. In den Tschetschenien-Kriegen testeten die USA dessen militärische Widerstandskraft, der Internationale Währungsfonds hatte gemeinsam mit aus der sowjetischen Nomenklatura rekrutierten Großganoven das Land ruiniert, Säuferpräsident Boris Jelzin bekam die NATO-Ausdehnung noch mit und bemühte sich bei seinem Freund William Clinton flugs um Mitgliedschaft. Zumindest Jewgeni Primakow – von September 1998 bis Mai 1999 russischer Ministerpräsident – wusste, dass es um die Existenz Russlands ging. Vom NATO-Krieg gegen Jugoslawien erfuhr er auf einem Flug nach Washington, ließ umkehren und war sein Amt los.

Nach 25 Jahren indirektem und direktem Feldzug gegen Russland geht unter allen europäischen NATO-Mitgliedern die Angst um, die USA könnten das Interesse an ihnen und ihren mäßigen Ergebnissen im Russland-Krieg verlieren und sich dem gegen China zuwenden. Die Helfer fürchten, die Suppe allein auslöffeln zu müssen. Diese »Verbündeten« haben, wie Sevim Dagdelen richtig bemerkte, heute ungefähr den Status der lateinamerikanischen US-Vasallen in den 70er und 80er Jahren: Bei Hofe unbeliebt, weil außer Schleim und Selbstmitleid nichts rüberkommt und mit dem Pack keine Wahlen zu gewinnen sind. Das mit der »einzigen Weltmacht« hat sich für viele auf dem Globus erledigt, siehe Papst. Bei den NATO-Europäern wird sich das herumsprechen.

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