13.03.2024 / Titel / Seite 1

Kiew greift an

Söldner- und Drohnenoffensive auf Ziele in Russland. Schäden an mehreren Raffinerien, Verwaltungsgebäude und grenznahe Dörfer im Visier

Reinhard Lauterbach

Wenige Tage vor der Präsidentenwahl in Russland hat die Ukraine ihre Drohnenangriffe auf Ziele im Land des Kriegsgegners verstärkt. Nach ukrainischen Angaben waren mindestens zehn Objekte im Visier; die russische Seite bestätigte, dass sie 25 Drohnen abgeschossen habe.

Der folgenschwerste Angriff galt einer Raffinerie in einem Vorort von Nischni Nowgorod mehrere hundert Kilometer östlich von Moskau. Dort musste zur Brandbekämpfung sogar ein Löschzug der Eisenbahn eingesetzt werden. Die in Brand gesetzte Anlage produziert nach Angaben verschiedener russischer Internetseiten etwa zehn Prozent des in Russland verbrauchten Benzins. Wie es von dort heißt, sei die Treibstoffversorgung der russischen Armee nicht gefährdet, weil diese im wesentlichen Diesel verbraucht. Eine mögliche Benzinknappheit könnte aber die Treibstoffpreise in die Höhe treiben und so vor den Wahlen potentiell für schlechte Stimmung sorgen. Weitere ukrainische Drohnen trafen die Stadtverwaltung in Belgorod und ein Benzinlager in Orjol. Über Moskau und St. Petersburg wurden Drohnen abgefangen, ohne dass sie Schaden anrichteten.

Parallel zu der Kiewer Drohnenoffensive griffen irreguläre Einheiten namens »Russische Legion«, »Sibirisches Bataillon« und »Freiheit für Russland« grenznahe Dörfer in den Gebieten Kursk und Belgorod an. Nach russischen Angaben mussten sich die Angreifer unter eigenen Verlusten auf ukrainisches Gebiet zurückziehen. Die Ukraine wies eine Verantwortung für die Angriffe zurück und erklärte, die fraglichen »Freiwilligeneinheiten« seien bei Kämpfen auf russischem Staatsgebiet autonom. Dass ihnen die Ukraine Unterschlupf gewährt und sie offenkundig auch mit gepanzerten Fahrzeugen ausstattet, wurde nicht bestritten. Die »Russische Legion« und die »Freiheit für Russland« rekrutieren ihre Kämpfer unter russischen Faschisten und wohl auch russischen Kriegsgefangenen; das »Sibirische Bataillon« ist bisher laut CNN nur über den Messengerdienst Telegram in Erscheinung getreten. Im Sommer 2023 hatten diese Söldner schon einmal die Grenze überquert und versucht, die Kontrolle über einzelne Dörfer zu gewinnen – und bei der Gelegenheit wohl die Fähigkeiten des russischen Grenzschutzes zu testen.

Die operative Bedeutung aller dieser Angriffe tritt hinter ihrer propagandistischen Aufgabe zurück. Sie werden in ukrainischen Medien breit herausgestellt, um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit von einem empfindlichen Rückschlag Kiews auf einem Gebiet abzulenken: der Luftverteidigung. Wie inzwischen diverse westliche Medien berichten, hat die russische Armee in der Nacht von Freitag auf Sonnabend im westlichen Donbass mit einem Schlag mindestens zwei Abschussvorrichtungen der in den USA produzierten »Patriot«-Raketen zerstört. Sie wurden demnach in einem gemeinsamen Konvoi etwa 40 Kilometer hinter der Front verlegt, offenbar von einer russischen Drohne entdeckt und Minuten später von einer Rakete vom Typ »Iskander« getroffen. Das Bedienungspersonal hatte vermutlich keine Überlebenschance. Eine der Abschussvorrichtungen war auf einem Lkw der deutschen Marke MAN montiert, wie aus Aufnahmen der Trümmer hervorgeht. Das legt den Schluss nahe, dass sie zu einer der beiden aus Bundeswehrbeständen an die Ukraine abgegebenen »Patriot«-Batterien gehörte. Mit dem Verlust der beiden Abschussvorrichtungen hat die Ukraine gut zehn Prozent ihrer öffentlich bekannten »Patriot«-Kapazitäten verloren.

https://www.jungewelt.de/artikel/471255.krieg-in-osteuropa-kiew-greift-an.html