12.03.2024 / Schwerpunkt / Seite 3

Gefälschte Berichte: Untersuchungen der OPCW in Syrien nachträglich bearbeitet

Wiebke Diehl

Im Mai 2019 wurde eine interne technische Untersuchung von OPCW-Inspekteuren bekannt, die den zwei Monate zuvor erschienenen Abschlussbericht der Organisation zu einem möglichen Chemiewaffenangriff im syrischen Duma im Jahr 2018 in Frage stellte. Ohne auch nur erste Untersuchungsergebnisse abzuwarten, hatten die USA, Frankreich und Großbritannien damals völkerrechtswidrig drei Anlagen des syrischen Militärs bombardiert.

Der langjährige OPCW-Inspekteur Ian Henderson, der an den Untersuchungen in Duma beteiligt gewesen war, kam in dem internen Bericht zu dem Schluss, die Wahrscheinlichkeit, dass die Zylinder manuell gezündet wurden, sei größer, als dass sie aus einem Flugzeug – also von der syrischen Armee – abgeworfen wurden. Im Oktober desselben Jahres schloss sich ein weiterer OPCW-Beamter an, der der ersten Untersuchungsmission in Duma angehört hatte. Diese hatte Zweifel angemeldet, ob es in Duma überhaupt einen Chemiewaffenangriff gegeben hatte. Der zweite an die Öffentlichkeit tretende OPCW-Inspekteur urteilte, der Duma-Abschlussbericht, der Damaskus die Schuld zuschob, sei »redaktionell bearbeitet« worden. Zur Untermauerung zählte er wesentliche Abweichungen auf.

Im Jahr 2020 wurden dann weitere Dokumente veröffentlicht, die die Widersprüche ebenfalls offenlegten. Eine Aufarbeitung der OPCW erfolgte allerdings nicht. Statt dessen wurden die sich an ihre Untersuchungsergebnisse gebunden fühlenden OPCW-Inspekteure verleumdet und beschimpft. Ähnlich erging es der »Berlin Group 21«, einem Zusammenschluss aus international renommierten Persönlichkeiten, die die OPCW in einem Brief zu »Verantwortung und Transparenz« aufforderte. Der Gruppe gehören neben fünf ehemaligen OPCW-Inspekteuren und dem ehemaligen OPCW-Generaldirektor José Bustani auch namhafte Wissenschaftler, Künstler, Politiker und hochrangige UN-Beamte an.

Der Skandal um den Duma-Bericht wirft einen großen Schatten auch auf die anderen OPCW-Untersuchungen in Syrien. Dies gilt um so mehr, weil diese zu allem anderen als eindeutigen Ergebnissen kamen und OPCW-Begutachtungen vor Ort zum Teil gar nicht stattgefunden hatten. Die syrische Regierung wurde aber trotzdem als »Schuldige« benannt. So schätzte die Organisation in Khan Scheikhun genommene Proben als beweiskräftig ein, obwohl diese unter Kontrolle der damaligen Nusra-Front und mit Unterstützung der Türkei genommen worden waren. Der US-Journalist Seymour Hersh und türkische Parlamentsabgeordnete werfen Ankara vor, Dschihadisten mit Chemiewaffen ausgestattet zu haben. Dass bereits vor dem angenommenen Giftgasangriff in Khan Scheikhun fast 60 Personen mit angeblichen Vergiftungserscheinungen in Krankenhäuser eingeliefert worden waren, wurde im Abschlussbericht ignoriert. Ebenso kursieren alternative Theorien, wie eine am Boden ausgelöste Explosion oder der versehentliche Beschuss eines Gebäudes, in dem die syrische Opposition Chemiewaffen gelagert habe.

»Die Vereinigten Staaten und einige westliche Länder haben die OPCW zu einer Arena für die Begleichung ihrer aggressiven und kolonialistischen geopolitischen Rechnungen gemacht«, so Syriens ständiger Vertreter bei der OPCW, Milad Attia, vergangene Woche während der Eröffnung der 105. Sitzung des Exekutivrats der OPCW. Angesichts »dieser Realität« sei die Organisation nicht mehr in der Lage, »ihre Ziele zu erreichen«, und es sei schwierig für sie, »ihre Glaubwürdigkeit wiederzuerlangen und die ihr übertragenen Aufgaben zu erfüllen«.

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