11.03.2024 / Ausland / Seite 7

Palaststurm in Port-au-Prince

Haiti: Gewalt in Karibikstaat eskaliert. Regierungsgebäude angegriffen oder als Schutzräume aufgesucht

Mawuena Martens

Die Lage in Haiti spitzt sich weiter zu. Seit Tagen greifen Banden Polizeistationen, Gefängnisse und Gerichte an. Auch mehrere Gebäude im Regierungsviertel sollen am Freitag abend Ziel der Angriffe gewesen sein, darunter der Nationalpalast, das Innenministerium und ein regionales Hauptquartier der Polizei. Laut dem Leiter des Haiti-Büros der Internationalen Organisation für Migration (IOM) sind mittlerweile mehr als 360.000 Menschen innerhalb Haitis vor der Gewalt geflohen. Wie die Nachrichtenagentur AFP am Sonntag berichtete, haben Dutzende Menschen am Sonnabend wiederum örtliche Verwaltungsgebäude besetzt, um dort Zuflucht vor der Gewalt zu finden.

Doch nicht nur in der Hauptstadt Port-au-Prince eskaliert die Situation. Gewaltausbrüche soll es auch im nordwestlich gelegenen Artibonite geben. Weiter wird von Straßenblockaden in Cap Haitien im Norden und Treibstoffmangel im Süden berichtet. Staatliche Behörden und Schulen im Land sind dauerhaft geschlossen, der Flughafen und der Hafen in Port-au-Prince sind außer Betrieb. Schon am Mittwoch hatte der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, vor einem Zusammenbruch des Gesundheitssystems gewarnt. Auch leidet fast die Hälfte der elf Millionen Bewohner des Karibikstaats unter akutem Hunger, so die Vereinten Nationen.

Bewaffnete Gruppen kontrollieren mittlerweile 80 Prozent der Hauptstadt. Sie fordern einen Rücktritt des Regierungschefs Ariel Henry. Die zwei größten Gruppierungen haben sich zusammengeschlossen. Einer der Anführer, Jimmy »Barbecue« Chérizier, drohte mit Bürgerkrieg, sollte Henry nicht zurücktreten.

Auslöser der jüngsten Eskalation in Haiti war die Reise des von den USA und westlichen Verbündeten installierten Interimspremierministers Henry nach Kenia. Ursprünglich hatte er Anfang Februar aus dem Amt scheiden sollen. Doch durch die Einigung mit der Opposition, bis zur Abhaltung von Neuwahlen »innerhalb von zwölf Monaten« gemeinsam zu regieren, hält er sich weiter an der Macht. Schon 2022 hatte seine Regierung eine militärische Intervention zur Unterstützung der Polizei durch die Vereinten Nationen gefordert. Im Oktober hatte auch der UN-Sicherheitsrat grünes Licht für den Einsatz einer multinationalen Eingreiftruppe unter Leitung Kenias gegeben. Der Besuch Henrys in Kenia diente dazu, mit seinem Amtskollegen William Ruto ein solches Abkommen zu schließen: 1.000 kenianische Polizisten sollen demnach in den karibischen Inselstaat entsandt werden.

Seit Dienstag ist Ariel Henry in Puerto Rico gestrandet und wartet dort anscheinend eine Beruhigung der Lage in seinem Heimatland ab. Am Sonnabend hatte auch der dominikanische Präsident Luis Abinader den Regierungschef des Nachbarlandes zur unerwünschten Person erklärt. Die US-Regierung forderte den haitianischen Regierungschef auf, den Prozess hin zu Wahlen zu beschleunigen. UN-Generalsekretär António Guterres rief dazu auf, eine bereits vom UN-Sicherheitsrat genehmigte multinationale Sicherheitsmission in Haiti zu finanzieren.

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