11.03.2024 / Schwerpunkt / Seite 3

Eisernes Bündnis

Trotz kritischer Töne aus Washington: Die USA stehen im Gazakrieg weiterhin unverbrüchlich an der Seite Israels

Knut Mellenthin

Ein prominenter Vertreter der Pro-Israel-Lobby in den USA hat die Befürchtung geäußert, dass Israel wegen des »sich verschlechternden Verhältnisses« zwischen beiden Staaten die Unterstützung seines »allerwichtigsten Verbündeten« verlieren könnte. Abraham Foxman, von 1987 bis 2015 Direktor der Anti-Defamation League (ADL), erwähnte dieses Thema gleich mehrmals in einem langen Gespräch, dessen Zusammenfassung die Internettageszeitung Times of Israel am Donnerstag vergangener Woche veröffentlichte.

Der 83jährige begründete diese Sorge nicht etwa mit Kritik an der Kriegführung und Politik der israelischen Regierungskoalition aus Rechten und Rechtsextremen, sondern mit der »Explosion des Antisemitismus« in den USA und damit, dass Präsident Joseph Biden im Laufe des Gazakriegs »schwach« geworden sei und sich von sachfremden politischen Überlegungen leiten lasse. Biden stehe unter dem Druck von Teilen seiner Wählerschaft. Dass Vizepräsidentin Kamala Harris sich für einen Waffenstillstand ausgesprochen habe, habe ihn »erschreckt«. »›Ceasefire‹ ist das Codewort für den Sieg der Hamas.«

Foxman scheint damit eine Sorge artikuliert zu haben, die in der israelischen Gesellschaft weit über die von Benjamin Netanjahu geführte Regierungskoalition hinaus verbreitet ist. Mit dem Thema befasste sich auch ein langer Artikel von Herb Keinon, den die Jerusalem Post am Freitag veröffentlichte. Der Autor arbeitet seit 35 Jahren für die rechtsgerichtete Tageszeitung und ist einer ihrer führenden Außenpolitikredakteure. Das Versprechen Bidens zu Beginn des Krieges, dass Israel von den USA alles zum Sieg über die Hamas Notwendige erhalten werde, sei von großer Bedeutung gewesen. Aber zunehmend ertönten in den USA Stimmen gegen diese Politik des Präsidenten, und die Biden-Administration scheine diesen Stimmen mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Aus dem Kongress kämen Forderungen, die Militärhilfe für Israel an Bedingungen zu knüpfen. Dann habe es Aufschreie gegeben, als Biden im Dezember am Kongress vorbei zwei weitere Pakete für Waffenlieferungen genehmigte, und Ende Februar habe das US-Außenministerium angeordnet, von Israel »glaubwürdige und verlässliche schriftliche Zusicherungen« zu verlangen, dass die von den USA gelieferten Waffen nur im Einklang mit dem internationalen Recht eingesetzt würden. Vor diesem Hintergrund sei Israel darum bemüht, seine Abhängigkeit von US-amerikanischen Rüstungsgütern durch Verstärkung seiner eigenen Produktion zu verringern.

Keinon erwähnte in seinem Artikel allerdings auch einen Bericht der Washington Post vom Mittwoch vergangener Woche, wonach die US-Regierung seit Kriegsbeginn stillschweigend mehr als 100 einzelne Verkäufe von Militärgütern an Israel genehmigt und abgewickelt habe. Das sei zusätzlich zu den beiden offiziell bekanntgegebenen Lieferungen von Panzermunition im Wert von 106 Millionen Dollar und von Bestandteilen für den Bau von 155-mm-Artilleriegranaten im Wert von 147,5 Millionen Dollar geschehen.

Dramatisierte »Befürchtungen«, Israel könne von den USA zum einen ganz allgemein und darüber hinaus speziell auf dem Gebiet der Lieferung von Waffen und anderer militärischer Ausrüstung im Stich gelassen werden, gehören zum traditionellen Handwerk israelischer Politiker und Medien. Oft zielen solche Alarmrufe direkt darauf ab, die öffentliche Bekräftigung bestimmter Zusagen und Garantien zu erhalten. In Wirklichkeit hat es zumindest in den letzten 50 Jahren keine derartige Handlung irgendeiner US-Regierung gegenüber Israel gegeben. Etwas anderes wäre schon wegen der Verhältnisse im Kongress, wo Israel über eine unerschütterlich scheinende Unterstützung von mehr als 90 Prozent der Abgeordneten verfügt, praktisch ausgeschlossen. Auf dieser Ebene deuten sich keine relevanten Veränderungen an.

So sah sich auch Biden am Sonnabend in einem Interview mit dem Sender MSNBC genötigt, explizit klarzustellen: »Ich werde Israel nie allein lassen. Die Verteidigung Israels ist nach wie vor von entscheidender Bedeutung. Es gibt keine rote Linie, an der ich unsere Waffenlieferungen unterbrechen würde, so dass sie (das Raketenabwehrsystem) Iron Dome zu ihrem Schutz nicht mehr hätten.«

Etwas anderes wurde in dem Interview des Präsidenten mit MSNBC noch einmal deutlich: In der Biden-Administration weiß man offenbar, dass es ohne einen Umbau der israelischen Regierungskoalition nicht die geringste Kursänderung in Jerusalem, sondern eher eine Verschärfung und Ausweitung des Krieges geben wird. Nötig wäre vermutlich der Ausschluss der rechtsextremen Parteien aus der Regierung einerseits und die Einbeziehung der stärksten Oppositionspartei Nationale Einheit andererseits. Netanjahu »schadet Israel mehr als ihm zu helfen«, sagte Biden, ohne diese Aussage konkret zu vertiefen. Auf Nachfrage bestätigte der Präsident mit einem knappen »Yes«, dass er bereit sei, erneut – wie schon Mitte Oktober vorigen Jahres kurz nach Kriegsbeginn – nach Jerusalem zu reisen und darüber hinaus interessiert sei, sich mit einer Rede in der Knesset direkt an die israelische Öffentlichkeit zu wenden. Einige Stunden zuvor hatte Vizepräsidentin Harris in einem Gespräch mit dem Sender CBS erklärt, es sei wichtig, zwischen der Bevölkerung Israels und dessen Regierung zu unterscheiden oder zumindest beide nicht gleichzusetzen.

Hintergrund: Wiederbelebung der »Zweistaatenlösung«?

Formal haben die USA – mit Ausnahme der Amtszeit von Donald Trump, der die Zionisten mit politischen Geschenken überhäufte – die luftige Idee einer israelisch-palästinensischen »Zweistaatenlösung« niemals aufgegeben. Aber praktisch dafür getan haben sie nichts. Real ist dieses Projekt längst erledigt. Der »Oslo-Prozess«, mit dem seine Verwirklichung beginnen sollte, liegt schon 30 Jahre zurück. Die letzten Verhandlungen, an denen sich beide Seiten nur widerwillig auf Druck der USA beteiligt hatten, wurden 2014 ergebnislos abgebrochen.

Jetzt winkt die Biden-Administration erneut heftig mit dieser Attrappe. Der Hauptzweck besteht offenbar darin, den arabischen Staaten, an erster Stelle der Saudi-Monarchie, einen gesichtswahrenden Einstieg für ein umfassendes Arrangement mit Israel anzubieten. Tatsächlich wissen alle Beteiligten, dass für eine »Zweistaatenlösung« nicht die geringste Grundlage besteht und alle relevanten israelischen Parteien sie explizit ablehnen. Die Biden-Administration spricht daher von vornherein nicht von praktischen Schritten, sondern verwendet Begriffe wie »Vision« und »Öffnung eines Weges«.

In Wirklichkeit hat schon während des »Oslo-Prozesses« kein maßgeblicher israelischer Politiker, nicht einmal der 1995 von einem jüdischen Fanatiker ermordete Jitzchak Rabin, den Palästinensern das Recht auf einen unabhängigen Staat zugestanden. Es gab, den Geschichtsfälschungen zum Trotz, keine »gegenseitige Anerkennung«: Jassir Arafat unterschrieb am 9. September 1993 für die PLO »das Recht des Staates Israel, in Frieden und Sicherheit zu existieren«, während Rabin im Gegenzug als israelischer Premierminister lediglich die PLO »als Vertreterin des palästinensischen Volkes« anerkannte. Damals lebten in den illegal besetzten Gebieten 269.000 jüdische Israelis. Jetzt, Stand Januar 2023, sind es mindestens 740.000. (km)

https://www.jungewelt.de/artikel/471047.nahostkonflikt-eisernes-bündnis.html