11.03.2024 / Titel / Seite 1

Keine Rettung für Gaza

Hilfslieferungen aus der Luft und von See weitgehend wirkungslos. Hungersnot bringt selbst deutsche Bevölkerung und Habeck zur Besinnung

Wiebke Diehl

Die Lage in Gaza wird von Tag zu Tag katastrophaler. Israel und seine westlichen Verbündeten brauchen daher dringend Erfolgsmeldungen über humanitäre Hilfe. In der Nacht zum Sonntag haben die USA nun angekündigt, das erste Schiff mit Material für den Bau einer provisorischen Anlegestelle an der Küste des Gazastreifens zu entsenden. Allerdings musste Washington einräumen, dass der Bau des »schwimmenden Hafens« für Schiffe mit Hilfslieferungen mehrere Wochen, wahrscheinlich sogar zwei Monate in Anspruch nehmen wird. Wie die US-Regierung weiter mitteilte, soll Israel zudem ein Kontrollrecht über die Hilfsschiffe in Zypern eingeräumt werden.

Der Transport auf dem Seeweg soll den teuren, ineffizienten und viel zu geringen Abwurf von Hilfsgütern aus der Luft durch Jordanien, Ägypten, Frankreich, die Niederlande und die USA ergänzen. Am Freitag kam es bei einem solchen Abwurf zu einem tragischen Unfall: Weil sich ein Fallschirm nicht öffnete, stürzte ein großes Hilfspaket ungebremst auf Wartende und ein Hausdach. Fünf Menschen kamen ums Leben, weitere wurden nach Angaben der örtlichen Gesundheitsbehörden verletzt.

Hilfsorganisationen wie das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen warnen vor einer Hungersnot in der Küstenenklave. Dort stieg die Zahl der Getöteten am Sonntag auf mehr als 31.000. Vor allem in den Norden des Gazastreifens gelangt wegen israelischer Restriktionen nur ein Fünftel der geplanten Lkw-Transporte. Auch das Palästinenserhilfswerk der Vereinten Nationen (UNRWA) steht nach Angaben seines Chefs Philippe Lazzarini vor dem Kollaps, nachdem die meisten Geberländer wegen israelischer Vorwürfe, UNRWA-Mitarbeiter seien an den Angriffen vom 7. Oktober 2023 beteiligt gewesen, ihre Unterstützung eingestellt haben. Wie die Times of Israel am Freitag schrieb, kam die Organisation in einer Untersuchung jedoch zu dem Schluss, dass die belastenden Aussagen von israelischen Behörden unter Folter erpresst worden seien. Immerhin kündigten die Regierungen Schwedens und Kanadas am Sonnabend an, ihre finanzielle Unterstützung für die UNRWA wieder aufzunehmen. Bereits vor einer Woche hatte die EU erklärt, 50 Millionen Euro an das UN-Hilfswerk zu überweisen.

Unterdessen ergab eine am Donnerstag veröffentlichte Umfrage des Instituts Infratest Dimap, dass rund der Hälfte der Deutschen das Vorgehen Israels inzwischen zu weit geht. Das rief auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) auf den Plan. In einem Interview mit Welt TV sagte er, was in Gaza passiere, sei »schlimm für die Zivilbevölkerung«. Zwar habe er Verständnis dafür, dass Israel nach der – völlig unbewiesenen – Zerstörung von 80 Prozent der Hamas-Strukturen jetzt nicht aufhören könne. Aber Tel Aviv müsse es »anders machen und mit mehr Schutz für die Zivilbevölkerung«, so der Vizekanzler des zweitgrößten Waffenlieferanten Israels.

Auch innenpolitisch gerät die israelische Regierung zunehmend unter Druck. Am Sonnabend kam es in Tel Aviv zu mehreren Protesten gegen Ministerpräsident Benjamin Netanjahu: So demonstrierten etwa erneut Angehörige der Geiseln. Ein zweiter Protestzug mit mehreren tausend Teilnehmern wurde von der Polizei daran gehindert, eine Stadtautobahn in der Nähe des Sitzes des Verteidigungsministeriums zu blockieren. Die Polizei ging mit Gewalt gegen die Demonstranten vor, die den Rücktritt Netanjahus und ein Abkommen mit der Hamas zur Freilassung der Geiseln forderten.

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