08.03.2024 / Ansichten / Seite 8

Treue zu Washington

Habeck auf Dienstreise in den USA

Sebastian Edinger

Der Niedergang der globalen US-Dominanz zugunsten einer multipolaren Weltordnung mit einer starken Rolle Chinas hat sich in den vergangenen Jahren enorm beschleunigt. Deutlich wird dabei, etwa in der Ukraine, dass dieser Prozess nicht reibungslos über die Bühne geht. Die US-Führung klammert sich mit allem, was sie hat, an ihre Vormachtstellung und scheut keine Mittel, der Konkurrenz zu schaden. Welchen Platz die EU in der neuen Weltordnung einnimmt, darüber wird viel gegrübelt. Meist heißt es dann, man müsse unabhängiger werden, die europäische Souveränität stärken. Der Bundeswirtschaftsminister hat andere Vorstellungen.

Habeck wird nicht als besonders kompetenter Wirtschaftspolitiker in die Geschichte eingehen – Stichwort: Insolvenzen – und auch nicht als großer Streiter für Menschenrechte, denkt man beispielsweise an den Kniefall von Doha. Aber vielleicht als einer, der die Zeichen der Zeit früh erkannte: Während sich Parteikollegin Baerbock erst kurz vor Kriegsbeginn die Kampfmontur überstreifte, um olivgrün geschminkt und symbolträchtig an der russisch-ukrainischen Grenze herumzustolzieren, machte Habeck schon Monate zuvor Stimmung für Waffenlieferungen an Kiew.

Das dürfte in Washington ebenso gut angekommen sein wie Habecks aktuelles Engagement für eine »langfristige Stärkung der transatlantischen Beziehungen«. Mit dieser Mission tourt er in diesen Tagen von Washington über New York bis nach Chicago. Dort will sich der Vizekanzler auch für eine gemeinsame Bewältigung geopolitischer Krisen einsetzen, teilte das Wirtschaftsministerium mit. Kurzum: Nicht mehr Eigenständigkeit soll das Leitmotiv Europas sein, sondern das bedingungslose Festhalten an der untergehenden alten Schutzmacht.

Die Unterwerfung unter die Interessen des Imperiums ist längst deutsche Staatsräson. Deshalb war es nicht schlimm, als die NSA Merkel ausspionierte; deshalb freute sich die damalige Kanzlerin offen über den Tod Osama bin Ladens. Deshalb störte man sich kaum an Guantanamo, Abu Ghraib – und deshalb weiß man bis heute offiziell nichts über die Urheberschaft des Anschlags auf die Nord-Stream-Pipelines. Letzteres markiert eine neue Stufe der Unterwerfung: den völligen Verzicht auf die politische Berücksichtigung eigener Interessen.

Um Washington beim unaufhaltsamen Verlust der globalen Vormachtstellung die Treue zu halten, opfert die Ampel nicht nur bereitwillig erhebliche Teile des hiesigen Wohlstands. Auch die für Deutschland in vielerlei Hinsicht wichtigen Beziehungen zu Moskau und Beijing werden durch Panzerlieferungen, TAURUS-Debatten, »Staatsbesuche« in Taiwan und Kriegsschiffe im Südchinesischen Meer systematisch demontiert, um sich ganz an Washington zu binden. An dieser politischen Linie soll auf jeden Fall festgehalten werden – das ist die zentrale Botschaft, die von Habecks USA-Reise ausgehen soll.

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