06.03.2024 / Titel / Seite 1

Rüstige Krieger

EU-Kommission legt »Strategie für die Verteidigungsindustrie« vor. Künftig 50 Prozent der Waffen aus kontinentaler Produktion

Jörg Kronauer

Die EU-Kommission hat am Dienstag erstmals eine »Strategie für die Verteidigungsindustrie« (European Defence Industrial Strategy, EDIS) vorgelegt. Ziel ist es, die Rüstungsproduktion in der EU bei Bedarf schneller hochfahren zu können, besonders aber, sie von Vorprodukten aus Drittstaaten unabhängig zu machen und ihren Ausbau durch eine rasche Verringerung der Waffenkäufe in den USA in hohem Tempo voranzutreiben. Vor allem im Hinblick auf die geplanten Kontroll- und Eingriffsoptionen der Kommission ist offen von einer Umstellung der EU auf »Kriegswirtschaft« die Rede.

Zur Begründung für die angebliche Notwendigkeit der EDIS heißt es bei der Kommission, die Probleme bei der Belieferung der Ukraine mit den gewünschten Mengen an Waffen und vor allem an Munition hätten gezeigt, dass die Rüstungskonzerne in der EU nicht rasch und flexibel genug reagieren könnten, wenn der Bedarf wegen eines Kriegs in die Höhe schnelle. Zum anderen aber kauften die EU-Staaten ihr Kriegsgerät immer noch vor allem in den USA ein. So seien seit Beginn des Ukraine-Krieges 63 Prozent aller EU-Rüstungsimporte in den Vereinigten Staaten beschafft worden, nur 22 Prozent hingegen in anderen EU-Ländern. Das müsse sich ändern – auch, weil die EU-Mitgliedstaaten ihre Rüstungshaushalte rasant steigerten und die absehbar hohen Beträge nach Möglichkeit nicht an die US-Konkurrenz gezahlt, sondern in der Union investiert werden sollten.

Die EU-Kommission schlägt entsprechend neue Richtwerte vor. So sollen ab dem Jahr 2030 mindestens 50 Prozent aller Rüstungsgüter innerhalb der EU gekauft werden, ab 2035 sogar mindestens 60 Prozent. Das käme in der Praxis wohl vorwiegend den großen westeuropäischen Rüstungskonzernen zugute, insbesondere der deutschen, französischen, italienischen und spanischen Rüstungsindustrie. Auch soll die gemeinsame Beschaffung von Kriegsgerät durch jeweils mehrere EU-Staaten gesteigert werden – von knapp acht Prozent im Jahr 2022 auf 40 Prozent im Jahr 2030. Dies könnte dazu beitragen, die Waffensysteme in der EU ein Stück weit zu vereinheitlichen, um im Kriegsfall ihre Interoperabilität zu verbessern sowie Reparatur und Munitionierung zu erleichtern. Nicht zuletzt sollen die Lieferketten – wenn möglich, auch bei Rohstoffen – von Drittstaaten weitestgehend unabhängig werden. Die Ukraine wird in Belangen der Rüstungsindustrie den EU-Mitgliedstaaten gleichgestellt.

Um die Ziele zu erreichen, will Brüssel zum einen für den Zeitraum 2025–2027 bis zu 1,5 Milliarden Euro aus dem EU-Haushalt bereitstellen. Zum anderen will die Kommission die Rüstungsproduktion und deren Lieferketten detailliert registrieren und auf dieser Grundlage die stetige Verfügbarkeit sämtlicher Rüstungsgüter »unter allen Umständen und in jedem Zeithorizont« garantieren. Im Kriegsfall will sie zudem direkt in die Produktion eingreifen dürfen, um die Herstellung kriegswichtiger Güter zu garantieren; dazu fordert sie das Recht, unternehmerische Freiheit und Eigentumsrechte einschränken zu dürfen. Das sind in der Tat Elemente klassischer Kriegswirtschaft.

Die kriegswirtschaftlichen Eingriffsrechte der EU-Kommission stoßen freilich noch auf Widerstand in der Industrie. Unmut gibt es auch darüber hinaus. So sind längst nicht alle EU-Staaten damit einverstanden, ihre Rüstungskäufe in den USA zu reduzieren; nicht zuletzt Deutschland stützt sich unverändert stark auf sie.

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