04.03.2024 / Politisches Buch / Seite 15

Nicht ohne Widerstand

Ein großartiges Buch: Wolfgang Maderthaner über die frühneuzeitlichen Aufstandsbewegungen in »habsburgischen Landen«

Leo Schwarz

Von Büchern über Aufstände und Kämpfe vor- oder frühkapitalistischer Unterklassen geht eine eigentümliche Faszination aus. Viele sind zu Klassikern kritischer oder marxistischer Geschichtsschreibung geworden: Man denke nur an Eric Hobsbawms »Primitive Rebels«, Edward P. Thompsons »The Making of the English Working Class« oder Albert Sobouls Studien über die Sansculotten von Paris.

Auch Karl Kautskys »Vorläufer des neueren Sozialismus« kann man immer noch mit Gewinn lesen. Einer, der das – genau wie der Rezensent – als Student gemacht hat, ist der österreichische Historiker Wolfgang Maderthaner, der bislang vor allem mit Arbeiten zur Geschichte Wiens und zur österreichischen Zeitgeschichte hervorgetreten ist. Die Lektüre habe ihn, wie er schreibt, »schlicht hingerissen«, und er habe schon seinerzeit beschlossen, »den Kautsky« mit den Mitteln der neueren Geschichtswissenschaft »neu zu fassen«. Jetzt, im Ruhestand, ist Maderthaner, Präsident des (der österreichischen Sozialdemokratie nahestehenden) Vereins für Geschichte der ArbeiterInnenbewegung und bis 2019 Generaldirektor des österreichischen Staatsarchivs, ans Werk gegangen und hat, wenn auch »thematisch und zeitlich auf die habsburgischen Lande eingeschränkt«, ein Buch über »sozialrevolutionäre Aufstände« im Verlauf von vier Jahrhunderten vorgelegt.

Die Lektüre lohnt in jeder Hinsicht – auch für den deutschen Leser, der sonst keine Veranlassung sieht, sich näher mit der Geschichte der habsburgischen Territorien zwischen dem 15. und dem 19. Jahrhundert zu befassen. Das Buch zeigt in geradezu frappierender Weise, was für eine Menge von teilweise unbearbeitetem Material auf diejenigen wartet, die sich abseits ausgetretener Pfade der Geschichte der Klassenkämpfe in Europa zuwenden. Mit ihrem Gegenstand und ihrer Sympathie für die kämpfenden, immer wieder mit »aller nur erdenklichen Demütigung, Folter, willkürlicher Exekution und massenhafter Hinrichtung« niedergeworfenen Aufständischen ist diese Arbeit zumindest auf dem deutschsprachigen Buchmarkt der Gegenwart ziemlich einzigartig; Vergleichbares hat es jedenfalls seit der Zerstörung der Geschichtswissenschaft der DDR hier nicht mehr gegeben.

Den Hintergrund der Aufstandsbewegungen, die Maderthaner in den Blick nimmt, bildet der Zerfall der Feudalgesellschaft und die Herausbildung der kapitalistischen Produktionsweise. Maderthaner fasst den Hebel der ursprünglichen Akkumulation als »gewaltbesetzten« Transformationsprozess, bei dem Kapital angehäuft wird: Die Überführung von bis dahin gemeinschaftlich genutzten Ländereien, Weiden, Wäldern, Wegen und Gewässern in privates Eigentum unter Anwendung von »politischen, rechtlichen und physischen Zwangsmitteln«. Die bäuerliche Bevölkerung nahm ihre Verelendung und Entrechtung allerdings nicht widerstandslos hin.

Fünf dieser Erhebungen der Bauern – die dabei immer wieder Verbündete etwa in den städtischen Unterschichten und Angehörigen des niederen Adels wie György Dózsa fanden – gegen »herrschaftlichen Raub und autoritäre Anmaßung« hat Maderthaner untersucht. Er spannt den Bogen von den Taboriten über die Erhebung der ungarischen Bauern 1514, die Kämpfe in Innerösterreich zur Zeit des deutschen Bauernkrieges und die »Erfindung der Guerilla« in Ungarn 1704 bis zur »archaischen Auflehnung der polnischen Leibeigenen gegen die polnischen Großgrundbesitzer« in Galizien 1846.

Maderthaners Interesse gilt neben der konkreten Konfliktkonstellation vor allem den jeweiligen »­Visionen eines alternativen Besseren« – und dem zum Teil extremen Gewaltcharakter dieser sozialen Kämpfe. Insbesondere die Aufstände von 1514 und 1846 waren durchsetzt von »blutrünstigen« Gewaltexzessen und trugen Züge eines »Rachefeldzuges«. Maderthaner zweifelt freilich keine Sekunde daran, dass die Herrschaft immer noch eine Umdrehung gewaltbereiter war: In deren von »ungezügeltem Furor angetriebenen Strafexpeditionen« habe sich die ursprüngliche Akkumulation »ihrem eigentlichen Sinne nach« realisiert. Ein klares, ein großartiges Buch.

Wolfgang Maderthaner: Zeitenbrüche. Sozialrevolutionäre Aufstände in habsburgischen Landen. Campus, Frankfurt am Main 2023, 240 Seiten, 29 Euro

https://www.jungewelt.de/artikel/470612.klassenkämpfe-nicht-ohne-widerstand.html