04.03.2024 / Ausland / Seite 7

Iranische Führung erleichtert

Wahlbeteiligung nur knapp unter bisherigem Tiefststand – interessante Bewerber ausgesiebt

Knut Mellenthin

Im Iran haben am Freitag Parlamentswahlen stattgefunden. Das wichtigste Ergebnis schien am Sonnabend gegen Mittag festzustehen: »Erste Zahlen zeigen eine Beteiligung von über 40 Prozent«, meldeten die Nachrichtenagenturen, Sender und Zeitungen des Landes nahezu wortgleich. Die allgemeine Erleichterung war offensichtlich. Die Nachrichtenagentur Mehr titelte: »Die Beteilung der Iraner an den Wahlen zeigt die Unterstützung der Islamischen Revolution.« Präsident Ebrahim Raisi bezeichnete die Wahlbeteiligung in einer Gratulationsbotschaft an die Bevölkerung als »schweren Schlag gegen Irans Feinde«, die die Lage nach den »vom Westen unterstützten Unruhen« falsch eingeschätzt hätten.

Offensichtlich hatte die Führung des Landes mit noch Schlimmerem gerechnet. Fakt ist trotzdem, dass die Wahlbeteiligung, soweit bis Sonntag nachmittag bekannt war, die niedrigste seit Gründung der Islamischen Republik im April 1979 ist. Sie liegt unter der der vorausgegangenen Parlamentswahl am 21. Februar 2020, die im amtlichen Endergebnis mit 42,57 Prozent angegeben wurde. 2016 hatten 61,64 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben. Der deutliche Rückgang der Beteiligung wurde 2020 mit den Auswirkungen der beginnenden Coronapandemie begründet. In diesem Jahr scheinen Irans Politiker und Medien keine Ausreden mehr zu benötigen, sondern sprechen einfach von einem »bemerkenswerten Ergebnis«, das »dem islamischen Heimatland Ehre und Stolz und den Feinden Verzweiflung und Enttäuschung bringt«. So Raisi am Sonnabend in seinem Glückwunsch an die Nation.

In der Islamischen Republik hatte die Beteiligung an Parlamentswahlen bis 2020 nie unter 50 Prozent gelegen. Sie erreichte ihren Höchststand 1996 und 2000 mit 71,10 und 69,27 Prozent. In dieser Zeit schienen zwei politische Lager, die im Ausland stark vereinfachend als »Konservative« und »Reformer« bezeichnet wurden, um den künftigen Weg des Landes zu kämpfen. Im Mai 1997 wurde der damals 53jährige »Reformer« Mohammad Khatami bei einer Rekordwahlbeteiligung von fast 80 Prozent zum Präsidenten gewählt. Noch höher – 85 Prozent – war die Beteiligung nur 2009, als Mahmud Ahmadinedschad sich im Kampf gegen die »Reformer« seine Wiederwahl sicherte.

Generell gilt, dass die Wahlbeteiligung überall in der Regel davon abhängt, ob eine wirkliche Entscheidungsmöglichkeit gegeben scheint. Im Iran sorgt ein zur einen Hälfte von »Revolutionsführer« Ali Khamenei ernanntes, zur anderen Hälfte vom Parlament bestimmtes Gremium, der »Wächterrat«, seit 1991 dafür, dass die meisten Bewerber, die eine Wahl vielleicht interessant machen könnten, nicht als Kandidaten zugelassen werden. Es geht dabei nicht etwa um Oppositionelle, sondern um Politiker wie Ahmadinedschad, Hassan Rohani (Präsident 2013–2021) oder den begabten früheren Außenpolitiker Ali Laridschani. Die »Wahlkampagne« ist auf eine Woche beschränkt, so dass auch von dieser Seite kein politischer Wettbewerb zustande kommt.

Die Wahl in der vorigen Woche war sogar noch inhaltsloser als in früheren Jahren. Was die angetretenen »Parteien«, die sich fast alle den »Prinzipalisten« zurechnen, voneinander unterscheidet, interessiert hauptsächlich iranfeindliche Medien, die aus dem Kaffeesatz zu lesen versuchen. Weitgehend geht es um Gerangel und Interessenausgleich zwischen Personen und Seilschaften. Das einzige erkennbare Ziel der iranischen Führung vor der Wahl war »eine hohe Beteiligung«. Praktisch hieß das: nicht noch weiter nach unten! Das kann vermutlich gerade eben noch als erreicht gelten.

Ebenfalls am Freitag waren die 61,17 Millionen Wahlberechtigten aufgerufen, die 88 Mitglieder der »Expertenversammlung« für eine Amtszeit von acht Jahren zu wählen. Dieses Gremium soll die Tätigkeit des »Revolutionsführers« überwachen und nötigenfalls seinen Nachfolger bestimmen. Das wird mit einiger Wahrscheinlichkeit eintreten, da Khamenei jetzt 84 ist.

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