04.03.2024 / Inland / Seite 4

Bürgermeister gibt auf

Bayern: Lokalpolitiker will Amt niederlegen. Grund: Anfeindungen wegen geplanter Flüchtlingsunterkunft

Kristian Stemmler

Die Proteste gegen Geflüchtetenunterkünfte machen vor allem Schlagzeilen, wenn sie im Osten der Republik stattfinden. Im Westen ist die mediale Aufmerksamkeit dafür oft erheblich geringer. Aktuelles Beispiel: das oberbayerische Städtchen Markt Schwaben (Landkreis Ebersberg) östlich von München. Dort schmeißt der parteilose Bürgermeister Michael Stolze die Brocken hin, weil ihm die Anfeindungen wegen eines geplanten Heims für Geflüchtete zuviel geworden sind, wie der Bayerische Rundfunk (BR) am Samstag berichtete.

Laut der Homepage der Gemeinde hat Stolze, der seit knapp vier Jahren im Rathaus sitzt, zum 31. Mai einen Antrag auf vorzeitige Entlassung aus dem Amt gestellt. Zur Begründung verwies er gegenüber dem BR auf den Streit um die geplante Unterkunft. Er habe es offenbar völlig unterschätzt, dass dieses Thema »so hohe Wellen« schlagen würde. Seit Anfang Dezember stehe Markt Schwaben Kopf, so Stolze. Es habe sich eine Bürgerinitiative gegründet, ein Bürgerbegehren gegen die Errichtung der Unterkunft sei gestartet worden. Im Gemeinderat sei der Ton rauher geworden, es sei sogar zu Zerwürfnissen gekommen. Stolze berichtet von Beleidigungen und Beschimpfungen, vor allem auch über die sozialen Netzwerke, von Hass, der ihm entgegenschlug.

Diese Entwicklung habe er so nie beabsichtigt: »Ich wollte nur dafür sorgen, dass man mit dieser Pflichtaufgabe vernünftig umgeht und die Menschen richtig und würdig nicht nur unterbringt, sondern auch betreut.« Letztlich sei es ihm nicht gelungen, die Anwohner davon zu überzeugen, dass das funktionieren kann. »Es ist mir nicht gelungen zu vermitteln«, so Stolze gegenüber dem BR. Er habe es allen recht machen wollen. Vielleicht sei er einfach nicht Politiker genug und lasse die Dinge zu nah an sich heran, sagte Stolze, der jahrelang als Manager gearbeitet hat.

Für seine Entscheidung erntet der Markt Schwabener Bürgermeister viel Verständnis, so vom Landrat des oberbayerischen Landkreises Miesbach, Olaf von Löwis. Auch er habe immer wieder Momente, in denen er sich frage, warum er sich das alles eigentlich antue, erklärte von Löwis gegenüber dem BR. So habe er bei einer Bürgerversammlung wegen einer geplanten Geflüchtetenunterkunft in der Gemeinde Warngau mit Polizeischutz aus dem Gebäude geleitet werden müssen, weil ihm viel Hass und Wut von Bürgern und einem Rosenheimer AfD-Politiker entgegengeschlagen sei.

Als Lokalpolitiker lebt es sich gefährlich: Vor den Kommunalwahlen im Frühsommer fordert der »Ostbeauftragte« Carsten Schneider mehr Schutz auch für Lokalpolitikerinnen und Lokalpolitiker. »Es kann nicht sein, dass Menschen politische Ämter aufgeben, weil sie Angst haben«, sagte der SPD-Politiker der Deutschen Presseagentur.

Auch nach einem Angriff auf einen Kandidaten der Grünen für die Kommunalwahl in Baden-Württemberg geht die Polizei von einem politischen Hintergrund aus. Der 37jährige war am Dienstag abend im baden-württembergischen Amtzell (Kreis Ravensburg) von einem 57 Jahre alten Mann zunächst beleidigt und dann geschlagen worden, wie ein Polizeisprecher am Sonnabend mitteilte. Der Politiker habe angegeben, dass sich die Beleidigungen auf sein Parteiengagement bezogen hätten, sagte der Ravensburger Polizeipräsident Uwe Stürmer der Deutschen Presseagentur in Stuttgart.

Uwe Brandl, der Präsident des Bayerischen Gemeindetags erklärte gegenüber dem BR, Stolze sei nicht allein mit seiner Überforderung im Amt des Bürgermeisters. Immer mehr Bürgermeister stießen an den Rand der Belastbarkeit und fühlten sich alleingelassen. Vor allem dann, »wenn sie selbst versucht haben, sich solidarisch zu verhalten und zu helfen«, so Brandl.

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