02.03.2024 / Ansichten / Seite 8

Tragische Einsamkeit

Israels Kriegführung führte zu Massaker

Knut Mellenthin

Nach dem Tod von mehr als 100 Menschen bei der Verteilung von Lebensmitteln in Gaza-Stadt sind die verbalen Proteste, an denen sich sogar einige westliche Regierungen wie die Frankreichs und Spaniens sowie der Außenpolitikchef der EU, Josep Borrell (»totally unacceptable«) beteiligen, allgemein, aber die dringend benötigte Hilfe für die palästinensische Bevölkerung bleibt viel zu gering. Jordanien, wurde am Freitag berichtet, habe – offensichtlich im vollen Einvernehmen mit der israelischen Besatzungsbehörde Cogat – aus der Luft 48 Hilfspakete über dem Gazastreifen abgeworfen. Aber warum gibt es keine umfangreichen internationalen Hilfsaktivitäten, denen sich Israels Regierung bei all ihrem Wahnsinn kaum militärisch widersetzen würde, mit China und Russland an der Spitze, unter Beteiligung aller arabischen Staaten, die sich möglichst unverbindlich mit den Palästinensern solidarisch erklären?

Die US-Regierung hat am Donnerstag im UN-Sicherheitsrat einen Antrag Algeriens blockiert, der – soweit bisher bekannt – von allen anderen 14 Mitgliedern, also auch Frankreich und Großbritannien, unterstützt wurde. Dieser Antrag enthielt nicht nur das Bekenntnis »tiefer Besorgnis«, sondern auch die Aussage, dass die Situation, die dem Massaker zugrunde lag, auf die Feuereröffnung durch israelische Streitkräfte zurückzuführen sei. »Wir kennen noch nicht alle Fakten«, begründete der US-amerikanische Vertreter im Sicherheitsrat die Haltung seiner Regierung.

Gewiss scheint aber jetzt schon: Israelische Soldaten haben auf die Menge geschossen und dabei nach dem Eingeständnis ihrer Militärführung zehn Menschen getötet. Außerdem gab es unter den Hunderten oder Tausenden, die sich um die Transportfahrzeuge drängten, eine Panik. Umstritten ist nur der Zusammenhang der Ereignisse. Israel behauptet, seine Streitkräfte hätten die Panik nicht ausgelöst.

Dazu gibt es aber ein interessantes, außerhalb Israels kaum beachtetes Detail: Einer der Beschlüsse, die am Sonntag von Israels Kriegskabinett gefasst wurden, sieht vor, bei der Verteilung von Lebensmitteln künftig dafür zu sorgen, dass diese »auf eine Weise (geschieht), die Plünderungen verhindert, wie sie im Norden des Gazastreifens und anderen Gebieten vorgekommen sind«. Diese Anweisung und die Schüsse am Donnerstag zusammenzubringen, liegt auf der Hand.

Die tieferen Ursachen sind jedoch die Blockierung und Verzögerung der Hilfslieferungen durch Israel und der »Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung«, den Sprecher der Vereinten Nationen beklagen. Diesen Zusammenbruch hat Israel planmäßig und systematisch durch Zerstörung der gesamten Infrastruktur herbeigeführt. Das ist ein zentraler Teil seiner Kriegführung – die weltweit immer noch auf zu wenig effektiven Widerstand stößt. Che Guevara sprach 1967 von der »tragischen Einsamkeit Vietnams«. Das bleibt auch heute Thema.

https://www.jungewelt.de/artikel/470512.tragische-einsamkeit.html