02.03.2024 / Ausland / Seite 7

Pakistans Wahlsieger kämpfen weiter

PTI stellt Mehrheit in Parlament ohne Regierung. Partei will Ergebnis juristisch anfechten

Thomas Berger

In Pakistan hat sich am Donnerstag das am 7. Februar neugewählte Parlament konstituiert. Jedoch konnten nur 302 von 336 Abgeordneten die Vereidigung vornehmen. Weil die Pakistan Tehreek-e-Insaf (PTI) des reformorientierten früheren Regierungschefs Imran Khan als Partei nicht antreten durfte, ist die Sunni Ittehad Council (SIC) die Kleinpartei, der inzwischen die allermeisten Abgeordneten aus den Reihen der PTI beigetreten sind. Deren Kandidaten wurden offiziell als Unabhängige gewählt. Sie sind als Gruppe die größte Kraft im Parlament und eigentlicher Wahlsieger. Die Regierung werden sie aber wohl nicht stellen können, selbst wenn der SIC als Vehikel die 23 Zusatzmandate noch zugeteilt werden. Derzeit ist offen, ob die Wahlkommission der SIC die ihr noch zustehenden reservierten Sitze für Frauen und Minderheiten zugesteht.

Die PTI-Führung um den jetzigen Parteichef Gohar Ali Khan spricht weiterhin von Wahlfälschung, und davon, dass die aus den Reihen der Partei stammenden Unabhängigen statt rund 100 nach eigener Zählung 180 der 266 Wahlkreise gewonnen hätten. Das wäre für sich genommen eine klare Mehrheit. Der ranghöchste Regionalbeamte in der zu Islamabad benachbarten Garnisonsstadt Rawalpindi war deswegen zurückgetreten. In einer Selbstanklage räumte er die Beteiligung an Manipulationen der Stimmenzahlen, »die aus Gewinnern Verlierer und aus Verlierern Gewinner machten«, öffentlich ein. In der dünn besiedelten, aber flächenmäßig größten und seit Jahrzehnten von Unruhen erschütterten Provinz Belutschistan protestieren vor allem regionale Kleinparteien seit Wochen gegen den mutmaßlich manipulierten Wahlausgang.

Der pakistanische Staat ist längst dabei, sich anhand der »offiziellen« Resultate neu zu sortieren. Bereits am Montag war Maryam Sharif, als erste Frau der Landesgeschichte in solch einem Amt, zur Chefministerin der bevölkerungsreichsten Provinz Punjab gewählt worden. Sie ist die Tochter des dreifachen früheren Regierungschefs Nawaz Sharif, der dem politisch einflussreichsten Familienclan vorsteht, der die konservative Pakistanische Muslimliga-Nawaz (PLM-N) kontrolliert. Diese hat sich als Zweitplatzierte der Wahlen vor allem erneut mit der sozialliberalen Volkspartei (PPP) des Bhutto-Zardari-Clans zusammengetan. In Sindh, wo die PPP ihre größte Bastion hat, wurde ihr Vertreter Murad Ali Shah zum dritten Mal in Folge zum Chefminister gewählt. Die PTI hingegen sicherte sich mit dem neuen Chefminister Ali Amin Gandapur die Regionalregierung in Khans Heimatprovinz Khyber-Pakhtunkhwa.

Zum Kräftemessen wurde am Freitag die Wahl eines neuen Parlamentspräsidenten. Malik Aamir Dogar (PTI-SIC) unterlag dabei Sardar Ayaz Sadiq von der PML-N klar mit 91 zu 199 Stimmen. Sadiq schlug danach jedoch versöhnliche Töne an, und umarmte seinen Gegner, der ihm gratulierte. Solche Signale könnten auf eine gewisse Beruhigung der aufgeheizten Stimmung hindeuten. PTI-SIC und die islamistische Jamiat Ulema-e-Islam (JUI-F) wollen aber das offizielle Wahlergebnis juristisch anfechten. Die Zeitung Express Tribune zitierte PTI-Sprecher Shoaib Shaheen mit der Ankündigung, vor dem Obersten Gericht Klage einzureichen. Zugleich wolle die PTI darauf hinwirken, dass Chefrichter Qazi Faez Isa, dem mangelnde Neutralität unterstellt wird, an Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes, die direkt die PTI und Imran Khan betreffen, nicht beteiligt ist. Khan wurde bereits in erster Instanz zu einigen mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Weitere Prozesse stehen noch an.

Voraussichtlich am Wochenende könnte Nawaz’ jüngerer Bruder Shehbaz Sharif, der bereits nach Khans Sturz 16 Monate eine Koalition mit den dominanten Partnern PML-N und PPP anführte, zum neuen Premier gewählt werden. Kommende Woche folgt die Wahl eines neuen Staatsoberhauptes. Die Allianz will im höchsten Amt abermals Expräsident Asif Ali Zardari, der gemeinsam mit Sohn Bilawal Bhutto Zardari die PPP führt, installieren. Nawaz wird eher die Strippen im Hintergrund ziehen.

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