Die Nazipropaganda hat »Wunderwaffe« für dies und jenes strapaziert, im heutigen Jargon westlicher Journalisten ist die Vokabel vor allem für Wladimir Putin reserviert. Als der vor sechs Jahren in seiner jährlichen Rede an die Nation eine Reihe »unvergleichlicher« Waffen vorstellte, höhnte es vor allem im deutschen Sprachraum: »Erst als Putin die neuen Wunderwaffen vorstellte, kam Leben in den Saal.« (Tagesanzeiger) »Der russische Bär zeigt seine Krallen – was ist dran an Putins Wunderwaffen?« (Stern) Im Mai 2022 gab der Spiegel die längst verbreitete Antwort: »Angebliche ›Wunderwaffe‹ … Russland versucht in Kriegszeiten mit einer neuen Laserwaffe Eindruck zu machen. Doch Experten vergleichen das Gerät mit einer besseren Mikrowelle.« Der Westen kommt jedenfalls ohne die Wunder aus, die der Russe braucht. Diesseits von Moskau gibt es statt dessen »Gamechanger – Spielveränderer«. Ist dasselbe, heißt aber schöner.
Im deutschen Mediengewerbe hat sich insbesondere die FAZ das Verdienst erworben, »TAURUS« als »Gamechanger« zu bejubeln und eine Debatte auszulösen. Der ukrainische Präsident hatte laut der Zeitung bei einem Treffen mit Emmanuel Macron und Olaf Scholz am 9. Februar 2023 in Paris geäußert, dass »Deutschland und Frankreich ›Gamechanger‹ im Krieg sein könnten«: »Frankreich und Deutschland können das Blatt wenden. Je eher wir Langstreckenwaffen und moderne Flugzeuge haben, desto schneller wird Russlands Aggression zu Ende sein.« Zwei Monate später berichtete FAZ-Korrespondent Konrad Schuller: »Drohnen sind ›Gamechanger‹ in diesem Krieg. Die ukrainische Artillerie braucht sie so dringend wie die Luft zum Atmen.« Die russische Artillerie schieße »blind«, der große Vorteil der Ukrainer seien »hochpräzise westliche Geschütze und Raketenwerfer, aber jede ihrer Hightechgranaten ist kostbar. Deshalb feuern die Ukrainer nur, wenn die Aufklärung etwas gesehen hat, was eine Granate wert ist.«
Am 26. Mai 2023 lautete dann die Überschrift über einem Schuller-Text: »Ein ›Gamechanger‹ aus Deutschland«. Der Autor schwärmte: »Wenn der ›TAURUS‹ sich von seinem Trägerflugzeug gelöst hat, lässt er sich erst einmal in die Tiefe fallen. Dann faucht das fünf Meter lange unbemannte Kleindüsenflugzeug in Wipfelhöhe über die feindlichen Linien. Kurz vor Schluss steigt er noch mal steil hoch, um sich dann senkrecht auf sein Ziel zu stürzen. Sein 400 Kilogramm schwerer Sprengkopf kann dann meterdicken Beton durchschlagen.« Selenskij habe bei einem Besuch in Berlin Anfang Mai 2023 Scholz darauf angesprochen, Kiew wolle »TAURUS« »dringend« haben. Schuller: »Deutschland steht damit vor einer neuen Debatte.« Die wurde von Schuller und Co. orchestriert, Scholz hat sich ihr nun fürs erste entzogen. Die »Gamechanger«-Fans werden nicht aufgeben.