01.03.2024 / Ansichten / Seite 8

Mit dem Westen fertig

Jahresbotschaft von Wladimir Putin

Reinhard Lauterbach

Mit keinem Wort hat Wladimir Putin in seiner Jahresbotschaft das am Mittwoch ergangene Beistandsgesuch aus Transnistrien erwähnt. Das wäre auch unklug gewesen, denn Russland ist im Moment weder politisch noch militärisch in der Lage, etwas für diese Region zu tun. Das unterscheidet Transnistrien vom Donbass vor zwei Jahren. Wenn ­Putin von der »überwältigenden Unterstützung« für die »Sonderoperation« im Moment ihres Beginns – und grammatisch im Imperfekt – sprach, könnte dahinter die Absicht stehen, den Patriotismus der Bevölkerung jetzt nicht mit unrealistischen Erwartungen an die Heimholung weiterer Landsleute in die »russische Welt« zu strapazieren. Auch seine Warnung vor russischen Waffen, die »das Territorium der NATO erreichen können«, die natürlich nicht mehr war als das kleine Einmaleins der nuklearen Abschreckung, klang eher routiniert und wirkte letztlich doch noch von der stillen Erwartung getragen, der Westen werde sich von der Direktintervention in der Ukraine abhalten lassen. Die Hoffnung stirbt zuletzt, sagt ein Sprichwort.

Gleichwohl: Putin, vom Werdegang her ein typischer russischer »Westler«, ist mit dem Westen erkennbar fertig. Nur noch mit den USA sei er bereit, über Sicherheitsthemen zu verhandeln, wenn die es ehrlich meinten, woran er aber zweifle. Die EU erwähnte er überhaupt nicht. Statt dessen zog er die Bilanz einer bereits eingeleiteten Abkopplung der russischen Volkswirtschaft und ihrer Reindustrialisierung auf Basis eines faktischen Autarkieprogramms. Putin versprach der Bevölkerung eine Erhöhung der Löhne und Sozialleistungen, die weitere Reduzierung der Armutsquote und die Entwicklung peripherer Regionen. Vieles davon waren alte Baustellen, die er auch in früheren Jahresbotschaften schon angesprochen hatte; zum Stichwort der Kapitalflucht sagte er etwas resigniert, die russische Geschäftswelt sehe ja jetzt, wohin es führe, wenn man sein Geld ins Ausland schaffe. Habe er es nicht immer gesagt? Ob das Argument jetzt verfängt, muss sich zeigen. Ebenso weckt es Zweifel, Putin mit dreistelligen Milliardensummen jonglieren zu hören, durch die für alles Geld da sei. Da wird noch einiges Wasser die Wolga hinabfließen.

Faktisch war die Jahresbotschaft auch eine Regierungserklärung für die nächste Amtszeit: Ein Programm militärischer Stärke und innerer Entwicklung bei relativ weitgehenden Sozialmaßnahmen. Bemerkenswert war Putins Distanzierung von den »Pseudoeliten der 90er Jahre« – denen er ja damals selbst angehört hatte. An ihre Stelle will er eine »neue Elite« setzen, die ihren Patriotismus im Kriegseinsatz bewiesen habe. Ein neues Führungskorps aus Kriegsteilnehmern – das erinnert an Stalins Personalpolitik in den zwanziger Jahren und sein Wort über die entscheidende Rolle der Kader. Nicht, dass diese Kader Russland wieder in eine »Stagnation« führen, aus der dann irgend jemand nach Putin nur noch den Ausweg der Kapitulation sieht.

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