01.03.2024 / Ausland / Seite 7

Regierungsbildung ungewiss

Nach Rücktritt des palästinensischen Premiers: Vorschläge reichen von Einheitskabinett bis zu Forderung nach Hamas-Ausschluss

Gerrit Hoekman

Der palästinensische Premierminister Mohammad Schtaja hat Anfang der Woche den Rücktritt seines Kabinetts bekanntgegeben. »Ich habe den Rücktritt der Regierung am 20. Februar 2024 bei Präsident Mahmoud Abbas eingereicht, und heute übergebe ich ihn schriftlich«, erklärte Schtaja laut der amtlichen, palästinensischen Nachrichtenagentur WAFA am Montag in Ramallah, dem Sitz der Autonomiebehörde. Abbas hat den Rücktritt akzeptiert. Die jetzige Regierung wird allerdings so lange im Amt bleiben, bis eine neue gewählt ist.

Als Gründe für seinen Rücktritt nannte der Premierminister WAFA zufolge den »grausamen und beispiellosen Angriff« auf den Gazastreifen, den »Völkermord«, die »Versuche der Zwangsumsiedlung«, die »Hungersnot«, die »Verschärfung der Kolonisierung« und den »Terrorismus der Siedler«. Auf der Westbank und im besetzten Jerusalem würden Dörfer, Städte und Flüchtlingslager erneut durch Israel besetzt und »wirtschaftlich stranguliert«. Hinzu komme der Versuch, das Hilfswerk der Vereinten Nationen UNRWA zu »liquidieren«. Israel halte sich an kein in der Vergangenheit unterzeichnetes Abkommen und annektiere schrittweise palästinensische Gebiete oder strebe danach. »Sie machen die Palästinensische Nationalbehörde zu einer Sicherheitsverwaltungsbehörde ohne politischen Inhalt«, so Schtaja.

Wie geht es nun weiter? Laut der russischen Nachrichtenagentur TASS treffen sich von Donnerstag bis Freitag (falls die Gespräche gut laufen bis Samstag) in Moskau Delegationen aller wichtigen palästinensischen Fraktionen inklusive Hamas und Islamischer Dschihad. Thema ist die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit nach Ende der Kampfhandlungen im Gazastreifen. Favorisiert wird offenbar ein Kabinett sogenannter Technokraten, die parteipolitisch unabhängig handeln und sowohl für die Westbank und den Gazastreifen zuständig sind. Der palästinensische Botschafter in London, Husam Zomlot, geht davon aus, dass ein solches Kabinett von Katar und Ägypten unterstützt werde, berichtete die Tageszeitung The Guardian am Dienstag. Hamas und Islamischer Dschihad werden demnach keine Ämter in einer kommenden Übergangsregierung besetzen, so der Botschafter.

»Die politische Landschaft hat sich verändert. Dies ist die Zeit, unserem Volk zuzuhören, und nicht die Zeit für politische Fraktionen. Wir haben die Verantwortung, eine Regierung zu schaffen, die für ihr Volk sorgen, unser Volk und unser politisches System vereinen kann«, sagte Zomlot. Sie müsse die humanitäre Hilfe koordinieren und Parlamentswahlen vorbereiten. Auch die Wahl des Präsidenten ist seit Jahren überfällig. Die USA wünschen, dass Amtsinhaber Mahmud Abbas nicht mehr antritt. Botschafter Zomlot, ein Mitglied der Fatah, wird als zukünftiger Premierminister oder Präsident gehandelt.

Der palästinensische Außenminister Riad Al-Maliki, der wie alle Kabinettsmitglieder das Amt nunmehr kommissarisch leitet, sagte laut dpa am Mittwoch am Rande eines Treffens des UN-Menschenrechtsrats in Genf, er schließe eine gemeinsame Regierung mit der Hamas aus. Jetzt sei nicht der richtige Zeitpunkt für eine Regierung der nationalen Einheit. Im Moment gehe es darum, so Maliki, den Krieg im Gazastreifen zu beenden, um palästinensische Leben zu retten. Danach könne man über Parlamentswahlen nachdenken. Er selbst stehe als Nachfolger des zurückgetretenen Premierministers aber nicht zur Verfügung.

Die neue Regierung soll nach Ansicht von Maliki die volle Verantwortung sowohl für das besetzte Westjordanland als auch den Gazastreifen übernehmen. Klar sei jedoch, dass jede Regierung scheitern werde, falls die israelische Besatzung weitergehe. Es gebe keine Alternative zu einer Zweistaatenlösung, weil die Palästinenser in einem gemeinsamen Staat mit Israel niemals gleiche Rechte erhalten würden.

Kleiner Schönheitsfehler: Umfragen deuten darauf hin, dass bei Parlamentswahlen die Hamas stärkste Fraktion werden könnte – wie schon bei der letzten Wahl im Gazastreifen im Januar 2006. Der Ausgang hängt aber wohl auch davon ab, wie sich Israel gegenüber den Palästinensern verhält.

https://www.jungewelt.de/artikel/470431.palästina-regierungsbildung-ungewiss.html