01.03.2024 / Inland / Seite 5

Arbeitszwang für Arme

Saale-Orla-Kreis führt Ausbeutung von Geflüchteten ein. Ausweitung auf Bezieher von Bürgergeld angedeutet

David Maiwald

Der Sozialabbau in der Bundesrepublik wird verschärft. Ab diesem Freitag will der CDU-regierte Saale-Orla-Kreis in Thüringen Asylsuchende zu gemeinnütziger Arbeit verpflichten. Vier Stunden pro Tag sollen Asylsuchende für eine »Aufwandsentschädigung« von 80 Cent pro Stunde leisten, erklärte ein Kreistagssprecher am Donnerstag gegenüber jW. Die auf einem Beschluss des Kreistags von September 2023 beruhende Maßnahme laufe nun an, von 150 im Landkreis in Frage kommenden Asylsuchenden sei 50 Personen bereits »eine solche Arbeit zugewiesen worden«. Geflüchtete Menschen – die in der Bundesrepublik nach geltender Rechtslage größtenteils keinen Zugang zu regulärer Beschäftigung haben – würden durch die Maßnahme nun »Hilfstätigkeiten« ausüben, »die sonst nicht gemacht würden und die keine reguläre Arbeit verdrängen«, hieß es.

Arbeitsminister Huberts Heil (SPD) erklärte den Arbeitszwang »während der mitunter langen Wartezeit in Sammelunterkünften« am Donnerstag für »im Einzelfall sinnvoll«. Im Springer-Boulevard schloss er eine »nachhaltige Arbeitsmarktintegration« durch die Maßnahme aber aus. Seine Parteikollegin und Arbeitsagenturchefin Andrea »Arbeit, Leute, Arbeit« Nahles, erklärte sich gleichentags von der Debatte »überrascht«. Schließlich sei die »Arbeitsaufnahme von Geflüchteten in Unterkünften schon seit Jahren rechtlich möglich«, werde von den Kommunen aber »eher zurückhaltend« genutzt. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) sagte zum RBB, einige Landkreise überlegten bereits, wie die »Arbeitspflicht« auch bei ihnen umgesetzt werden könne.

Vielen geflüchteten Menschen, die arbeiten wollen, sei dies verboten, stellte Tareq Alaows im jW-Gespräch klar. Die nun geführte Debatte sei »rassistisch und ausgrenzend«, so der flüchtlingspolitische Sprecher von Pro Asyl. »Denn sie suggeriert, dass geflüchtete Menschen nicht arbeiten wollen«. Das entspreche aber nicht ihrer Lebensrealität. Vielmehr warteten Asylsuchende oft »monatelang, nachdem sie eine Aufhebung ihres Arbeitsverbots beantragt haben«. Durch die lange Wartezeit gingen ihre Arbeitsgelegenheiten dann verloren. »Menschen, die in ihrer Qualifizierung nicht arbeiten dürfen, in eine besonders ausbeuterische Arbeit zu drängen, die sie nicht wollen, grenzt an Zwangsarbeit.« Die im Ampelkoalitionsvertrag angekündigte Aufhebung des Arbeitsverbots für Asylsuchende sei überfällig. Es brauche außerdem die Anerkennung von Bildungs- und Berufszertifikaten, den Ausbau von Beratungsangeboten und Sprachkursen.

Der im – mehrheitlich mit CDU- und AfD-Abgeordneten besetzten – Saale-Orla-Kreistag verabschiedete Beschlusstext sieht an erster Stelle vor, für Asylsuchende generell »Arbeitsgelegenheiten (…) zu schaffen«. Der Beschluss von September zielt jedoch direkt auf eine Ausweitung des Arbeitszwangs ab: An zweiter Stelle soll die Maßnahme auch »für erwerbsfähige Leistungsberechtigte von Bürgergeld, insbesondere anerkannte Asylbewerber«, gelten. Als Einsatzorte führte die Beschlussvorlage der CDU-Kreistagsfraktion »öffentliche Einrichtungen«, »Soziales«, »Vereine«, »Kindertagesstätten«, »Schulen«, »Kinder und Jugend« sowie »Naturschutz, Tierschutz, Umweltschutz« – alles im Ampelhaushalt zusammengekürzte Lebensbereiche –, auf. Wenig verwunderlich kam am Mittwoch zur Forderung nach Ausweitung des Arbeitszwangs für Erwerbslose, ähnlich dem französischen Vorbild, auch die Forderung nach »Ausweitung der Bezahlkarte auf Bürgergeldempfänger« aus der Union.

Indem geflüchtete Menschen zur »Billigstarbeit« gezwungen würden, solle der Druck auf die Löhne erhöht werden, sagte Rainer Timmermann von der Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen im jW-Gespräch. Beim Bürgergeld und bei Sozialleistungen für Asylsuchende handele es sich zudem um Rechtsansprüche, »die man sich nicht erarbeiten muss«. Für ihn zielen die Vorschläge auf soziale Demagogie: »Während es vielen Menschen gerade schlecht geht, soll jetzt nach unten getreten werden: auf andere, denen es noch schlechter geht. Das ist schädlich und gefährlich für die gesellschaftliche Entwicklung.« Die »Arbeitspflicht« sei für die Arbeitsmarktintegration völlig ungeeignet, biete weder Qualifizierungs- noch Übernahmechancen.

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