01.03.2024 / Schwerpunkt / Seite 3

Staatlich gelenkter Nazikult

Informationskrieg und »digitale Strategie«: Zum Propagandaministerium der Ukraine

Moss Robeson

In Berlin und anderen Metropolen weltweit werden Werbeanzeigen mit dem Slogan »Be Brave Like ­Ukraine« (Seid mutig wie die Ukraine) verbreitet. Die Kiewer Regierung startete diese internationale PR-Kampagne im Frühjahr 2022 – während gerade ihre Friedensgespräche mit Russland scheiterten. »In der Tat ist dies unser Markenzeichen«, sagte Präsident Wolodimir Selenskij in einer nächtlichen Ansprache an die Nation. »Das ist es, was es bedeutet, wir zu sein, Ukrainer zu sein, mutig zu sein.«

Kurz nachdem Wladimir Putin seine »Spezialoperation« eingeleitet hatte, angeblich um seine Nachbarn zu »entnazifizieren«, erklärten ukrainische Politiker gegenüber dem Time-Magazin, dass sie die »moralische Überlegenheit« im globalen Kampf um die Herzen und Köpfe erlangen wollten. Michailo Fedorow, Vizepremier der Ukraine und erster Minister für digitale Transformation, sagte: »Wir versuchen, unsere Marke zu schützen.« Er wurde auch zum ukrainischen De-facto-Minister für nazistische Propaganda, mit dem Auftrag, das Image der mutigsten und ideologischsten Kämpfer der Ukraine zu polieren.

Fedorow ist mit seinen 33 Jahren das jüngste Mitglied des Ministerkabinetts und wohl derjenige, der Selenskij am nächsten steht. Er wird als »Vordenker« des »Social-Media-Ansatzes« des Präsidenten, »Botschafter der Ukraine in der Tech-Community« (er trägt meist Kapuzenpullis und Jeans, als arbeite er im Silicon Valley) und »einer von Herrn Selenskijs sichtbarsten Leutnants« beschrieben. Bevor er zum Architekten von dessen Agenda zur Schaffung eines »wahrhaft digitalen ukrainischen Staates« wurde – der auch die »Dija«-App eingeführt hat, die es den Bürgern ermöglicht, sich gegenseitig als russische Kollaborateure zu denunzieren –, war Fedorow der »digitale Stratege« von Selenskijs äußerst erfolgreicher Präsidentschaftswahlkampagne. Ebenso betreute er das Marketing für dessen Fernsehproduktionsfirma »Kwartal 95«.

Von seinem Ministerium wird auch die von Selenskij initiierte Fundraisingplattform »United24 Media« geleitet, über die seit Februar 2022 rund eine halbe Milliarde Euro akquiriert werden konnte. Laut Fedorow geht es dabei »nicht vorwiegend um das Sammeln von Geldern, sondern darum, die Menschen auf der ganzen Welt über die Geschehnisse in der Ukraine zu informieren«. Offenbar. Denn mit »United24 Media« hat seine Marketingagentur eine Rundfunkproduktionsfirma gegründet, die zunehmend nazistische Kriegspropaganda für die englischsprachige Welt fabriziert. »Wer hat Angst vor extremen Rechten?« hieß es bei einem Youtube-Video vom Dezember 2022 – während Fedorow damit beschäftigt war, das Social-Media-Unternehmen Meta davon zu überzeugen, die Sperre für das neonazistische »Asow«-Regiment auf Facebook und Instagram aufzuheben. Er hatte Erfolg. Bald fand eine regelrechte Invasion von ukrainischen Faschisten auf diesen Plattformen statt. Viele hielten es nicht einmal für nötig, ihre Nazitattoos und den Hitlergruß zu verbergen. Schließlich hatten sie den Informationskrieg gewonnen. Warum also nicht eine Siegerrunde drehen?

Fedorows Berater Anton Melnik, führender Kopf des Techökosystems der Ukraine, der für diesen Durchbruch mitverantwortlich war, hatte 2017 in Kiew an einem Fackelmarsch zum 108. Geburtstag des Hitler-Kollaborateurs Stepan Bandera teilgenommen, bei dem auch deutsche Naziparolen wie »Juden raus!« zu hören waren. Nicht lange nachdem Fedorow im Januar 2023 die frohe Botschaft vom Ende der Verbannung auf Meta verkündetet hatte, zog »United24 Media« die Samthandschuhe aus: Als erstes wurde ein zwanzigminütiger Film, eine Koproduktion mit dem »Asow«-Regiment, über die »legendäre Einheit der Ukraine« und »eine der kämpferischsten unserer Zeit« gedreht. Anfang des Jahres hat »United24 Media« ein Video über die »Top-fünf-Supereinheiten« der ­ukrainischen Streitkräfte herausgebracht, darunter drei Kampfverbände der »Asow«-Bewegung. Auch das ultrarechte Bataillon »Da-Vinci-Wölfe«, das vor kurzem von »Gonor«, einer Splittergruppe der »Asow«-Bewegung, übernommen wurde, wird darin glorifiziert.

»United24 Media« hat mittlerweile fast eine Million Abonnenten auf Youtube. Dort hat das Unternehmen auch Actionaufnahmen der 3. Sturmbrigade von »Asow« hochgeladen, die von Andrij Bilezkij, dem berüchtigtsten Neonazi der Ukraine befehligt wird. Viele solcher Videos vermitteln dem Betrachter das Gefühl, einem Ego-Shooter beizuwohnen, und erinnern an die Bilder von den rassistischen Massakern in Christchurch, Neuseeland, und Buffalo, USA. Die Täter, die ihre Verbrechen für ein sadistisch veranlagtes Publikum gefilmt hatten, waren Fans der von Heinrich Himmler fetischisierten »Schwarzen Sonne«. Diese findet sich auch in dem »Asow«-Emblem, das »United24 Media« in Videos als Wasserzeichen verwendet – einige davon sind mit dem Untertitel »First Person Shooter« versehen.

»United24 Media« hat sein blutrünstiges Publikum auch bei »NAFO« rekrutiert: Die Armee proukrainischer Twitter-Trolle, die von dem rechten Influencer Kamil Dyszewski befehligt wird, der früher Opfer des Holocausts mit Nazi-Shitpost verhöhnt hat, ist seit November 2022 Kooperationspartner – ein weiteres Indiz dafür, dass die Verherrlichung von Neonazis staatlich gelenkt ist. »Um es hart zu sagen: Es ist Propaganda«, beschrieb ein Mitarbeiter von »United24 Media« seine Aufgabe. »Drückt man es moderater aus, dann ist es Werbung. Unsere Aufgabe ist es, die Botschaft zu illustrieren, die die Regierung vermitteln will.«

Hintergrund: Saluschnis Marke

Der kürzlich als Oberbefehlshaber der ukrainischen Armee entlassene General Waleri Saluschni hat in der Vergangenheit um Unterstützung der Rechten geworben, indem er seine persönliche Marke etabliert hat. 2022 tauchten ein Bild von Saluschni mit einer Büste von Stepan Bandera und 2023 ein Selfie von ihm mit einem Porträt des Faschistenführers auf. Saluschni ist auf Fotos mit Kleidung von Marken wie dem neonazistischen »Svastone« und dem mit »Asow« verbundenen »Company Group Team« zu sehen. Einmal posierte er für eine Aufnahme mit dem Hitler-Tattoo-Träger und Kommandeur der Neonazieinheit »Wedmedi SS«. »Unser Elefant?«, fragte kürzlich die Neonazigruppe »Misanthropic Division«, nachdem sie festgestellt hatte, dass Saluschni einen Kapuzenpulli der »Luftwaffe« besitzt. Jene Drohneneinheit der ukrainischen Armee bedient sich der Symbolik der Nazis. Außerdem trug er einen von der Waffen-SS inspirierten Aufnäher, der von Fußballhooligans des »White Boys Club« vertrieben wird.

Die ersten Anzeichen für Probleme zwischen Selenskij und Saluschni traten laut Ukrainska Prawda im Frühjahr 2022 auf, als letzterer entschieden hatte, eine eigene Plattform für die Akquise von Mitteln für die Streitkräfte aufzubauen. Selenskijs Beraterumfeld sah darin ein Zeichen dafür, dass der General politische Ambitionen hegte. Es will mutmaßlich »United24« in die »digitale Strategie« für Selenskijs Wahlkampf um die nächste Präsidentschaft einbinden. Eine Suche auf dem Youtube-Kanal von »United24 Media« nach Saluschni, der wahrscheinlich als aussichtsreichster Rivale Selenskijs antreten wird – und sei es nur wegen einer paranoiden, sich selbst erfüllenden Prophezeiung –, liefert keine Ergebnisse. Vermutlich sucht Saluschni die Unterstützung der Ultrarechten als Versicherungspolice. Am Vorabend seiner Entlassung machte er ein Foto mit Andrij Stempizkij, dem Kommandeur der 67. Mechanisierten Brigade, die dem faschistischen »Rechten Sektor« nahesteht. (mr)

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