29.02.2024 / Kapital & Arbeit / Seite 9

BYD startet Europaoffensive

Chinesischer E-Autohersteller könnte zweites europäisches Werk in Italien bauen. Regierung Meloni wirft protektionistische Versprechen über Bord

Alex Favalli

Die Regierung von Giorgia Meloni liebäugelt mit dem chinesischen Elektroautohersteller BYD. In einem Interview mit Bloomberg gab Michael Shu, Präsident von BYD Europe, am Montag bekannt, vom italienischen Wirtschaftsministerium unter Giancarlo Giorgetti kontaktiert worden zu sein. Dieser sei am Bau einer Produktionsstätte im Land interessiert. »Wir haben Kontakt aufgenommen, um darüber zu sprechen«, sagte Shu. Ob ein zweites europäisches Werk notwendig sei, hänge zunächst allein vom Absatz ab: »Wir machen derzeit sehr gute Fortschritte«, fügte Shu jedoch hinzu.

Auch Adolfo Urso, Minister für Unternehmen und »Made in Italy«, räumte am Montag ein: »Wir haben Kontakte zu mehreren Autoherstellern«. Er könne keine Namen nennen, aber man müsse jeden, der in die Produktion im Land investieren wolle, so gut wie möglich empfangen. »Wir haben von Anfang an daran gearbeitet«, fuhr der Minister fort, »die Instrumente und die Attraktivität des Systems des Landes für ausländische Investoren zu verbessern, die sich auf Italien als Produktionsstandort konzentrieren wollen. Wir sind das einzige Land, das einen einzigen Automobilhersteller hat. In den anderen EU-Ländern, die wie wir eine lange Tradition im Automobilbau haben, konkurrieren zwei, drei, vier, ja sogar fünf oder sechs Hersteller miteinander, und wir hoffen, dass dies auch in Italien der Fall sein wird, um die Automobilzulieferindustrie zu stärken, die der wahre Stolz des ›Made in Italy‹ ist.«

Tatsächlich aber produzieren neben Stellantis, der mit den Marken Fiat, Alfa Romeo, Lancia und Maserati den größten Automobilkonzern des Landes bildet, auch Ferrari, die DR Automobile Group und Lamborghini in Italien. Da Stellantis jedoch im vergangenen Jahr signalisierte, einen erheblichen Teil der Produktion in Niedriglohnländer verlagern zu wollen, sah sich die Regierung Meloni zum Handeln gezwungen – und so werden nun die Weichen für die Ansiedlung eines neuen großen Automobilherstellers in Italien gestellt. Damit geraten vor allem die Hersteller unter Druck, die sich nach wie vor auf Autos mit Verbrennungsmotor spezialisiert haben. Der Regierung des »Made in Italy« scheint das aber herzlich egal zu sein.

Entsprechend schockiert reagierte die italienische Autoindustrie am Montag auf die Nachricht und forderte umgehend »klare Antworten« von der Regierung Meloni. Bereits Mitte Februar, als die ersten Gerüchte um BYD die Runde machten, hatte sich Stellantis empört über das Vorhaben geäußert: »Wenn wir mehr chinesische Autohersteller einladen, in Europa zu produzieren, glauben Sie, dass das hilft?« so Konzernchef Carlos Tavares.

BYD hat im Jahr 2023 erstmals Tesla als weltweit größten Hersteller von Elektroautos überholt und geht nun offensichtlich auch auf dem europäischen Markt in die Offensive. Pläne für ein ungarisches Werk, das 2027 die Produktion aufnehmen soll, liegen bereits vor. Zudem hat in dieser Woche der firmeneigene Frachter »BYD Explorer 1« mit 3.000 E-Autos in Bremerhaven erstmals in einem deutschen Hafen angelegt.

Weltweit hat der chinesische Konzern allein im vierten Quartal 2023 rund 526.000 Fahrzeuge verkauft. Im Gesamtjahr lag der Absatz bei mehr als drei Millionen Autos, davon 1,6 Millionen Elektroautos. Angesichts dieser Bilanz zeigt sich auch Tesla-Chef Elon Musk besorgt. »Sie sind extrem gut«, räumte er im Januar ein. »Wenn es keine Handelsschranken gibt, werden sie die meisten anderen Autofirmen in der Welt so ziemlich zerstören«, prophezeite er. Auch Branchenexperten gehen davon aus, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis BYD zum größten Elektroautohersteller Europas aufsteigt.

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