29.02.2024 / Titel / Seite 1

Tierfutter und Salzwasser

Gazastreifen: UN warnen vor sich drastisch verschärfender Hungersnot. Israel hält an völkerrechtswidriger Kriegführung fest

Wiebke Diehl

Der Hungertod Tausender Menschen im Gazastreifen ist zur realen Gefahr geworden. Das erklärten Vertreter der Vereinten Nationen am Dienstag (Ortszeit) im UN-Sicherheitsrat. 576.000 Menschen, ein Viertel der Bevölkerung der Küstenenklave, seien »nur einen Schritt von einer Hungersnot entfernt«, so ein ranghoher Vertreter des UN-Nothilfeprogramms OCHA. Auch Carl Skau, stellvertretender Exekutivdirektor des Welternährungsprogramms (WFP), mahnte, es herrsche »die weltweit schlimmste Unterernährung bei Kindern«. Aufgrund israelischer Restriktionen und des andauernden Angriffs gegen den Gazastreifen sei man »nicht in der Lage, Menschen, die sie dringend benötigen, regelmäßig oder ausreichend mit Lebensmitteln zu versorgen«.

Nach Angaben des Ständigen Beobachters Palästinas, Riad Mansour, herrscht bereits eine Hungersnot. »In Schutt, Sand und Müll« suchten die Menschen nach Nahrung. Was sie fänden, sei lediglich »Tierfutter oder von Ratten verwüstete Nahrung«. Von seiten der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO wurde mitgeteilt, dass schätzungsweise 46,2 Prozent des gesamten Ackerlandes geschädigt seien und die landwirtschaftliche Infrastruktur zerstört sei. Nutztiere würden durch Luftangriffe, Wasser- und Futtermangel getötet, Gewächshäuser sowie Oliven- und Zitrusbäume vernichtet.

Dass die israelische Regierung im Gazakrieg Hunger als Waffe einsetzt, hat unter anderem die US-Organisation Human Rights Watch belegt. Hochrangige Mitglieder der Regierung, darunter Verteidigungsminister Joaw Gallant, der Minister für nationale Sicherheit Itamar Ben-Gvir und der damalige Energieminister und heutige Außenminister Israel Katz, kündigten im Oktober an, den im Gazastreifen lebenden Menschen Lebensmittel, Wasser und Treibstoff zu entziehen, und haben dies auch umgesetzt. Das Aushungern von Zivilisten als Mittel der Kriegführung ist laut dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs ein Kriegsverbrechen. Schon vor Beginn des aktuellen Gazakriegs waren aufgrund der 16jährigen Blockade und Israels Missachtung der Vierten Genfer Konvention 80 Prozent der Bevölkerung der Küstenenklave auf humanitäre Hilfe angewiesen. Trinkwasser gab es nach Angaben der UN schon vor dem 7. Oktober nicht ausreichend.

Entgegen der einhelligen Meinung internationaler Hilfsorganisationen behauptete der Ständige Vertreter Israels, Brett Jonathan Miller, am Dienstag, wer sage, dass Israel der palästinensischen Bevölkerung humanitäre Hilfe verweigere, verbreite lediglich die Lügen der Hamas. Die Verzögerungen seien einzig und allein die Schuld der Vereinten Nationen. Auch dem Internationalen Gerichtshof (IGH) gegenüber hatte Israel jüngst angegeben, seinen humanitären Verpflichtungen nachzukommen.

Um von Jordanien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Ägypten und Frankreich aus der Luft abgeworfene Hilfsgüter war es, dem US-amerikanischen Nachrichtensenders CNN zufolge, am Dienstag zu heftigen Rangeleien gekommen. Dabei war in Aufnahmen zu sehen, wie Peitschen und lange Holzstöcke von verzweifelten Männern eingesetzt wurden, die für sich und ihre Familien etwas Essbares ergattern wollten. Auch kleine Mädchen und Jungen drängten sich um die Hilfspakete. Frauen und Kinder warteten zudem in langen Schlangen, um Suppen aus Körnern und schmutzigem Wasser zu bekommen. Am Dienstag hatte UN-OCHA gewarnt, es gebe Anzeichen, dass die öffentliche Ordnung im Gazastreifen zusammenbricht.

https://www.jungewelt.de/artikel/470321.krieg-gegen-gaza-tierfutter-und-salzwasser.html