28.02.2024 / Titel / Seite 1

Gut gebrüllt, Gockel

Eigene Bodentruppen in der Ukraine: Überwiegend Skepsis bei EU-Regierungen nach französischer Forderung, Bundeskanzler wiegelt ab

Reinhard Lauterbach

Der Vorstoß des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron, notfalls auch die Entsendung von Bodentruppen einzelner NATO-Staaten in die Ukraine zu erwägen, ist in Berlin und den meisten anderen EU-Hauptstädten reserviert aufgenommen worden. In Berlin erfuhr die Agentur Reuters aus »Regierungskreisen«, die französische Initiative sei »nicht abgestimmt« gewesen. Im Klartext: Macron sei zu früh damit herausgekommen. Bundeskanzler Olaf Scholz sagte, er bleibe dabei, dass Deutschland in der Ukraine nicht Kriegspartei werden dürfe.

Macron hatte seinen Vorstoß am Montag bei einer EU-weiten Krisenkonferenz in Paris damit begründet, dass auf jeden Fall verhindert werden müsse, dass Russland den Krieg militärisch gewinne. Um dies zu erreichen, dürfe nichts von vornherein ausgeschlossen werden. Der Franzose verwies darauf, dass in der Vergangenheit auch schon die Lieferung von Panzern und weitreichenden Raketen an die Ukraine von manchen in der NATO erst ausgeschlossen worden und dann doch erfolgt sei. Eine klare Anspielung auf die längeren Diskussionen in Berlin über die Entsendung von »Leopard«-Panzern. Macron setzt offenbar nicht in erster Linie auf ein Vorgehen im NATO-Format, weil hier Einstimmigkeit nötig wäre. Statt dessen könnten eventuelle Direktinterventionen auf Grundlage bilateraler Vereinbarungen mit Kiew erfolgen.

Die einzige indirekt zustimmende Stimme zu Macrons Vorstoß kam von der FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Sie sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe, Deutschland müsse Macrons Einschätzung nicht teilen. Aber Frankreich habe damit eine Führungsrolle in der EU eingenommen, während der Bundeskanzler wieder einmal bremse. Von den sonst allzeit eskalationsbereiten Grünen kam der Einwand, es solle jetzt erst einmal darüber geredet werden, welche weiteren Waffensysteme die EU noch liefern könne, ohne eigene Soldaten zu entsenden. Aus der Union kam die Kritik, Macrons Vorstoß komme »zur Unzeit«, für die Linkspartei nannte Dietmar Bartsch die Initiative einen aus »Macrons Wichtigtuerei« geborenen »gefährlichen Wahnsinn«, der »Europa entzünden« könne. Gregor Gysi erklärte, Macron sei »nicht mehr zu retten«. Von seiten der AfD wurde gefordert, statt weiterer Waffenlieferungen oder gar Truppenentsendungen diplomatische Initiativen für eine Beendigung des Krieges einzuleiten.

In den meisten EU-Hauptstädten hielten sich die Regierungen alle Optionen offen. So erklärte der schwedische Ministerpräsident Ulf Kristersson, die Entsendung von Bodentruppen in die Ukraine sei »derzeit kein Thema«. Ähnlich äußerten sich die Regierungschefs von Polen und Tschechien, Donald Tusk und Petr Fiala, bei einem Treffen in Prag. Klare Ablehnung kam dagegen aus der Slowakei. Premierminister Robert Fico sagte vor seinem Abflug zu dem Pariser Treffen, es laufe ihm kalt den Rücken herunter, wenn er manche seiner europäischen Kollegen reden höre. Die Slowakei sei ein direktes Nachbarland der Ukraine und wäre deshalb bei einer weiteren Eskalation direkter bedroht als »andere, weiter entfernte Länder« – wie etwa Frankreich.

Dort ruderte Außenminister Stéphane Séjourné zurück und erklärte, dass er vor allem an Cyberabwehr, die Produktion von Waffen in der Ukraine und die Minenräumung denke. »Einige dieser Handlungen könnten eine Präsenz auf ukrainischem Territorium erforderlich machen, ohne die Schwelle zur kriegsführenden Macht zu erreichen«.

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