27.02.2024 / Natur & Wissenschaft / Seite 15

Die Antwort da draußen

Unbekannte Flugobjekte sind regelmäßiges Thema des Boulevards. Sollte man sie ernst nehmen?

Marc Hieronimus

Ist da jemand? Davon darf man ausgehen. Als Größenordnung für die Menge der Sterne im sichtbaren Universum galt lange »einhundert Milliarden Galaxien zu je einhundert Milliarden Sternen«, also 10.000.000.000.000.000.000.000 bzw. zehn Trilliarden Sonnen. Einer Hochrechnung des australischen Astronomen Simon Driver zufolge sind es sogar siebenmal so viele. Sehen kann man davon bis zu fünftausend, in der Großstadt wegen Lichtverschmutzung nur ein paar Dutzend. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein paar der unvorstellbar vielen Sonnen von belebten Planeten umkreist werden, ist hoch, zumal wenn man bedenkt, dass Leben nicht notwendig auf die uns genehmen Stoff- und Atmosphärenverhältnisse angewiesen ist.

Kluge Köpfe haben unterschiedlich Kluges über mögliche Außerirdische geschrieben. Zu Recht kaum bekannt ist z. B. Immanuel Kants Schrift »Von den Bewohnern der Gestirne«, in der er die geistigen Fähigkeiten der grünen oder andersfarbigen Männchen mit der Entfernung ihres Planeten von der Sonne in Verbindung setzt: Geistig und moralisch sind wir den Merkurianern weit über-, den Bewohnern des Jupiter weit unterlegen. Verantwortlich für den Zusammenhang sei die geringere Sonnenanziehung auf den Planeten. Heute ist man längst nicht mehr auf Spekulation angewiesen. Immer größere Teleskope durchleuchten das All auf allen Frequenzen, seit den 1960er Jahren auch mit dem ausdrücklichen Ziel, extraterrestrische Botschaften zu empfangen. In den 1970ern gingen Forscher dazu über, selbst Signale zu senden – und haben, soweit bekannt, bis heute keine Antwort erhalten.

»Where is everybody?« fragte Enrico Fermi schon 1950. Sollten die Planeten da draußen doch nicht für höheres Leben geeignet sein? Sind sie einfach zu weit entfernt? Eine z. B. auch von Stanisław Lem vertretene Hypothese besagt, dass die Zeitspanne, in der Zivilisationen überhaupt versuchen, mit anderen in Verbindung zu treten, sich vielleicht nur auf rund hundert Jahre beschränke, dann blieben sie lieber weiter unentdeckt, änderten ihre Kommunikationskanäle oder zerstörten sich selbst. Der Stille des Weltalls steht das Spektakel mit seinen unzähligen Büchern, Filmen, Serien, Spielen und Comics über UFO-Sichtungen und ihre geheimdienstliche Vertuschung entgegen: Aliens entführen uns demnach, experimentieren mit uns und wir mit ihnen, in einem Hangar in der »Area 51« bewahren Forscher einer ultrageheimen Geheimdienstabteilung sogar echte UFOs auf und versuchen sie nachzubauen. Wenn Unbefugte versehentlich etwas davon mitbekommen, werden sie von Zivilbeamten in schwarzen Anzügen bedroht, getötet oder zumindest wie in der »Men in Black«-Filmreihe zum Gedächtnisverlust »geblitzdingst«, damit die Wahrheit nicht ans Licht kommt.

Wer ernsthaft in Erwägung zieht, fremde Intelligenzen könnten schon hier gewesen sein, wird trotz tausendfacher Augenzeugenberichte schnell als Spinner abgetan. Es steht ja auch viel auf dem Spiel. Wenn irgend etwas von der UFO-Folklore wahr ist, verlieren Regierungen unser Vertrauen und unser Selbstverständnis als Krone der Schöpfung sein Fundament. Nun, genau das scheint in den vergangenen Jahren stattzufinden. Über 90 Prozent der Sichtungen mögen durch Satelliten oder Licht- und Wetterphänomene erklärbar sein, doch der Rest hat es in sich. Schon 2016 versprach Hillary Clinton, im Fall ihrer Wahl zur US-Präsidentin umfangreiches Material zu unidentifizierten Flugobjekten zu veröffentlichen. Es kam bekanntlich anders, doch 2020 kam der Stein ins Rollen, als das Pentagon Videoaufnahmen solcher Objekte veröffentlichte. Im Jahr darauf gab Expräsident Barack Obama zu, dass es UAPs (wie die UFOs heute heißen) unbekannter Herkunft gibt, deren Flugeigenschaften bezüglich Beschleunigung, Wendigkeit und Unauffälligkeit alles übertreffen, was die bekannten Waffenschmieden bislang hergestellt haben. Plötzlich treten Piloten an die Öffentlichkeit und erzählen, was preiszugeben ihnen zuvor unter Strafe verboten war. Exagent David Grusch warf 2023 in einer Anhörung im US-Kongress der Regierung vor, gleich mehrere solcher Fluggeräte zu besitzen – sind die Gerüchte also wahr, wie in »Men in Black«?

»Sie sind hier! Was jetzt?« fragt der Journalist Robert Fleischer in seinem gleichnamigen Buch. Er ist Gründer von Exopolitik Deutschland und Mitgründer des internationalen Recherchenetzwerks ICER (icer.network). Wenn man seinen Recherchen glauben darf, ist das UAP-Phänomen weit größer und älter, als die meisten Menschen glauben. Das erste UFO sei vermutlich schon im faschistischen Italien geborgen worden. Mussolini habe es für ein feindliches Spionageflugzeug gehalten und zur weiteren Untersuchung in einen Hangar verbringen lassen, aus dem es die US-Amerikaner dann 1945 entwendeten. Im Zweiten Weltkrieg haben viele Kampfflieger beider Seiten von ungewöhnlich fliegenden Feuerbällen (sogenannten Foo Fighters) berichtet, und seither reißen Sichtungen nicht mehr ab. Die vielleicht unbemannten Flugobjekte scheinen sich besonders für militärische Anlagen und Raketentests zu interessieren. Wenn Menschen den meist bunt leuchtenden Objekten nähertreten, erleiden sie Verbrennungen, fallen in Ohnmacht und/oder erhalten telepathische Botschaften. Spätestens an diesem Punkt schlägt die gegen solchen Hokuspokus allergische Leserin das Buch zu: Das müsste doch längst jedem bekannt sein!

Die journalistischen Verlegenheitsfragen nach Plausibilität und Nutzen helfen jedenfalls nicht weiter. UFOs sind nicht plausibel, und sie zu erfinden nutzt erst einmal niemandem, solange sie nicht nach Terrorismus und Pandemie zur nächsten transnationalen Bedrohung aufgebauscht werden. Was müsste andersherum geschehen, damit ihre Existenz uneingeschränkt anerkannt wird – eine Landung auf den Champs Élysées wie 1989 in Woronesch?

Robert Fleischer: Sie sind hier! Was jetzt? Warum wir UFOs ernst nehmen sollten. Tiger-Press, Frankfurt am Main 2024, 25 Euro

https://www.jungewelt.de/artikel/470236.unbekannte-flugobjekte-die-antwort-da-draußen.html