24.02.2024 / Wochenendbeilage / Seite 4 (Beilage)

Kampf geht weiter

Anhörung in London: Unterstützer von Assange verwandeln Royal Hight Courts in ein Protestcamp

Ina Sembdner (Text) und Ivett Polyak-Bar Am (Fotos)

Es ist ein milder Februartag in London, und zahlreiche Menschen haben sich zum »Tag X« vor den Royal Courts of Justice eingefunden. Seit 14 Jahren wird der Wikileaks-Gründer Julian Assange von den USA für die Veröffentlichung von als »geheim« eingestuften Dokumenten verfolgt. Was sie belegen? US-Kriegsverbrechen in Afghanistan und Irak, im extraterritorialen US-Foltergefängnis in Guantanamo, massenhafte globale Überwachung und aufschlussreiche, für die jeweils betroffenen Regierungen äußerst unangenehme diplomatische Depeschen – um nur die wichtigsten Leaks der Enthüllungsplattform in den vergangenen 17 Jahren zu nennen. Zur Rechenschaft gezogen für die zahlreichen Verbrechen wurden jedoch weder die Ausführenden noch die dafür verantwortlichen Befehlsgeber.

Angeklagt wurden aber Whistleblower wie die frühere US-Soldatin Chelsea Manning für die Weitergabe der Informationen und derjenige, der sie als erstes zugänglich gemacht hat: ein Präzedenzfall. Denn sollte Washington mit seinem Ansinnen erfolgreich sein, Assange nach einem Verfahren im sogenannten Spionagegericht in Alexandria – wo die Anklage noch nie einen Prozess zu nationaler Sicherheit verloren hat – für 175 Jahre ins Hochsicherheitsgefängnis zu bringen, ist kein Journalist mehr sicher.

Aber das Verteidigungsteam von Assange und dessen Familie geben nicht auf. Auch nicht an diesem Dienstag und Mittwoch in London. Vor dem britischen High Court soll entschieden werden, ob einer Berufung des Australiers gegen die 2022 erlassene Auslieferungsentscheidung stattgegeben wird. Und die nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre erwartbare Schikane gegen Öffentlichkeit und Transparenz wird auch dieses Mal durchexerziert. Mit einer weiteren Verschärfung: Journalisten, die einen Übertragungslink aus dem Gericht erhalten wollen, müssen sich in England oder Wales aufhalten. Ausgeschlossen sind also nicht nur die Berichterstattenden aus dem Heimatland Assanges, sondern auch jene aus dem Rest des Vereinigten Königreichs. Der 52jährige hat seine Teilnahme aus gesundheitlichen Gründen abgelehnt – er hatte bereits während einer Verhandlung im Auslieferungsprozess im Oktober 2021 einen Minischlaganfall erlitten, sein Gesundheitszustand hat sich seither permanent verschlechtert. Erwartet hätte den Journalisten im Gerichtssaal Nummer fünf ein Käfig aus schwarzen Eisenstangen.

Draußen vor Gericht bekommen die Unterstützer von alledem nichts mit. Assanges Team wird morgens frenetisch begrüßt und beim Verlassen der Royal Courts mit Sprechgesängen begleitet. Eine kleine improvisierte Bühne bietet Raum, vor, zwischen und nach den Anhörungen das im Gerichtssaal erlebte an die Protestierenden weiterzugeben und Bilanz zu ziehen. Am Ende des Verfahrens – ein Urteil wird für Anfang März erwartet – führen Stella Assange, Wikileaks-Chefredakteur Kristinn Hrafnsson, John und Gabriel Shipton die Menge am Mittwoch abend Richtung Westminster zum britischen Parlament an. »Free Assange!« schallt es durch die Straße The Strand: Der Kampf geht weiter.

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