24.02.2024 / Kapital & Arbeit / Seite 9

Recycling ist keine Lösung

Studie: Industrie log über Nutzen der Wiederverwertung von Plaste. Und das seit Jahrzehnten

Gerrit Hoekman

Kunststoffhersteller wissen offenbar seit mehr als 30 Jahren, dass es unrentabel ist, Plastik zu recyclen. In der Öffentlichkeit aber machten sie kräftig Werbung dafür. Das untermauert ein aktueller Bericht des »Center for Climate Integrity« (CCI). Der Bericht mit dem Titel »Der Betrug beim Plastikrecycling: Wie die Ölkonzerne und die Kunststoffindustrie jahrzehntelang die Öffentlichkeit täuschten und die Plastikmüllkrise verursachten« präsentiere »nie zuvor veröffentlichte Beweise, die den Grundstein für neue Klagen gegen Big Oil und die Kunststoffindustrie wegen Betrugs beim Kunststoffrecycling legen könnten«, versprach die Umweltorganisation am 15. Februar in einer Pressemitteilung.

Die Unternehmen verschweigen demnach bis heute, dass sie ihre Produkte niemals im großen Stil recyceln werden, weil es ihnen zu teuer ist. Die Trennung von Restmüll und Plastik durch die Verbraucherinnen und Verbraucher ist noch der einfachste Schritt. Danach wird es schwierig: Die Kunststoffe müssen weiter sortiert werden. Aufgrund ihrer unterschiedlichen, chemischen Zusammensetzung kann das meiste nicht zusammen recycelt werden. »Das macht einen ohnehin schon teuren Prozess noch teurer«, erklärt das CCI. Außerdem könne das Material in der Regel nur ein- oder zweimal wiederverwendet werden.

Die Lobby der Kunststofferzeuger hätte »in betrügerischer Absicht, Kunststoffrecycling als Lösung vermarktet, um der Regulierung zu entgehen und ihre Gewinne zu schützen«. Die petrochemischen Unternehmen hätten in den vergangenen sechs Jahrzehnten das »falsche Versprechen (…) genutzt, um die Produktion von Neuplastik exponentiell zu steigern«, stellt der Bericht fest. »Dadurch haben sie die globale Plastikmüllkrise geschaffen und aufrechterhalten.«

Lange gaukelte die Industrie den Konsumentinnen und Konsumenten vor, Plastikabfall sei überhaupt kein Problem: Einfach auf die Mülldeponie damit oder in die Müllverbrennungsanlage. Die Plastiklobby schaffte es, Kunststoff als ein Symbol für Fortschritt und Wohlstand zu etablieren. Die alarmierenden Berichte über Mikroplastik in den Weltmeeren und andere Horrornachrichten haben die öffentliche Wahrnehmung inzwischen deutlich verändert. Plastik gilt nicht mehr als modern, sondern als unverrottbares Erbe, mit dem sich noch die nächsten Generationen herumschlagen müssen.

Die geniale Antwort der Kunststofflobby: Recycling! Aber bereits 1986 stellte der Handelsverband Vinyl Institute fest, so die Recherche des CCI, dass Recycling von Kunststoffen »nicht als dauerhafte Lösung für feste Abfälle angesehen werden kann, da es lediglich die Zeit bis zur Entsorgung eines Artikels verlängert«. Die Industrie verkaufte Recycling nach außen jedoch munter weiter als den Stein der Weisen, obwohl sie es besser wussten.

»Die jahrzehntelange Kampagne der Ölkonzerne und der Kunststoffindustrie (…) hat wahrscheinlich gegen Gesetze verstoßen, die Verbraucher und die Öffentlichkeit vor Fehlverhalten und Umweltverschmutzung durch Unternehmen schützen sollen«, sagte Alyssa Johl, beim CCI zuständig für Rechts- und Rechtsberatung, in der britischen Tageszeitung The Guardian.

»Wenn ich Generalstaatsanwalt wäre, würde ich, basierend auf dem, was ich im CCI-Bericht gelesen habe, gerne auf eine Untersuchung und eine Klage drängen«, zitierte der Guardian Brian Frosh, den früheren Generalstaatsanwalt im Staat Maryland. In Kalifornien wird bereits seit zwei Jahren gegen die fossile Brennstoff- und Petrochemieindustrie ermittelt, unter anderem gegen ExxonMobile.

»Anstatt gemeinsam an konkreten Lösungen zur Bekämpfung von Plastikmüll zu arbeiten, entscheiden sich Gruppen wie das CCI wie üblich für politische Angriffe«, reagierte der Vorsitzende des US-amerikanischen Branchenverbands Plastics Industry Association, Matt Seaholm, im Guardian auf die Studie. Die Industrie habe immerhin viel Geld in die Lösung des Abfallproblems investiert. Was er ausließ: Noch mehr Profit hat sie daraus gezogen, den Plastikberg stetig wachsen zu lassen.

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