24.02.2024 / Ansichten / Seite 8

Fahrgast des Tages: Olaf Scholz

Felix Bartels

Fünf Minuten vor Redaktionsschluss – und noch kein Por­trät. Das Sommerloch kommt früh dieses Jahr. Der Mann im ­Feuilleton behält die Nerven. Er weiß: Der Kanzler wird liefern, wie jeden Tag. Und der tut es – schneller, als man »Doppelwumms« sagen kann. Der Agenturticker meldet, Scholz besuche eine Straßenbahn. Normalerweise fliegt er ja. Wenn nicht mit seiner Air Force One, dann vom Fahrrad. Aber die Bahn, in die er steigt, fährt gar nicht. Sie steht. In Dresden zum einen, und zum anderen für unsere Werte. Das Projekt »metro_polis« folgt der Vision, »die Straßenbahn als lebendigen Ort der Demokratie zu begreifen«. Viermal die Woche sei der Plauderwagon auf den Verkehrslinien der Stadt unterwegs, in bereits 560 Stunden habe man fast 5.700 Personen zum Diskutieren gebracht. Scholz kündigte an, am kommenden Donnerstag in einen stehenden Wagon auf dem Betriebshof der Dresdner Verkehrsbetriebe zu steigen. Demokratie gerettet.

Der Kanzler weiß: »Miteinander sprechen, unterschiedliche Meinungen austauschen und aushalten, andere Ansichten verstehen lernen und vielleicht sogar gemeinsame Standpunkte entwickeln – das fördert die Gesprächskultur in unserem Land im allerbesten Sinne.« Wenn wir irgendwas brauchen im Zeitalter von Fake News und Shitstorms, Sprachregelung und Influencern, dann noch mehr Gelaber. Gut, er hat es anders formuliert, aber das ist der Grundgedanke.

Seltsam, dass es vielen so schwerfällt, den Zusammenhang zu sehen. Das dauernde Drüberreden hat die Menschen nicht klüger, es hat sie dümmer gemacht. Der permanente Austausch von Meinungen hat nicht zu mehr Vermittlung, er hat zu mehr Schärfe geführt. (Einer Schärfe um nichts allerdings.) Vernetzung der Menschen hat nicht zu mehr Vielfalt in den Anschauungen geführt, sondern zu Blasenbildung. Wo ist Doktor Murke, wenn man ihn braucht?

https://www.jungewelt.de/artikel/470028.fahrgast-des-tages-olaf-scholz.html