19.02.2024 / Inland / Seite 8

»Reproduktion erzeugt neue Lohnsklaven«

Das Buch »Kinderfreie aller Länder, vereinigt euch!« argumentiert für eine Existenz ohne Nachwuchs. Ein Gespräch mit Verena Brunschweiger

Barbara Eder

In Ihrem Buch »Kinderfreie aller Länder, vereinigt Euch!« bezeichnen Sie kinderlose Personen als verkannte Größe. Warum ist deren Handeln mitunter auch antikapitalistisch motiviert?

Kapitalismus ist ein System, das auf Konsum und Lohnsklaverei beruht: Jede Arbeiterin und jeder Arbeiter muss seine Arbeitskraft an irgendeinen Kapitalisten oder eine Kapitalistin verkaufen, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. Durch Reproduktion erzeugen wir neue Lohnsklaven – und das muss niemand zwangsläufig tun. Ich möchte auch keine neuen Konsumenten schaffen. Davon gibt es im globalen Norden schon viel zu viele, die wiederum den globalen Süden zerstören. Warum also noch mehr Ressourcenverbrauch und noch mehr Müll durch noch mehr Kinder in dieser Welt?

Die Klimakatastrophe ist für Sie keine hinreichende Bedingung, um sich gegen Kinder zu entscheiden. Was spricht ansonsten noch dafür?

Antinatalismus ist auch mit einem ethischen Aspekt verbunden: Es wäre kein schönes Leben auf diesem Planeten, das ich wissentlich jemandem antun würde. Was für mich persönlich am meisten zählt, ist jedoch die feministische Sache: Ich möchte dem Patriarchat nicht den größtmöglichen Gefallen tun, indem ich mich als Inkubator zur Verfügung stelle. In meiner Argumentation folge ich dahingehend Simone de Beauvoir: Sie schreibt, dass die an Frauen gerichtete Erwartungshaltung, Kinder zu gebären, auch etwas Degradierendes hat – schließlich sind wir ja keine Tiere! Dazu kommt ein gesundheitlicher Aspekt: Eine Entbindung ist schmerzhaft und mit diversen Risiken verbunden, den Gefahren von Schwangerschaften widme ich ein ganzes Kapitel – viele Frauen werden danach inkontinent, ihr Lustempfinden kann gestört sein. Die Radikalfeministin Shulamith Firestone sagte deshalb bereits zur Mitte der siebziger Jahre: »Giving birth is like shitting a pumpkin.«

Historisch ist zu beobachten, dass Frauen vor allem in Krisenzeiten in den »Gebärstreik« treten. Wie passt das zur aktuellen Lage?

Ich fordere ein klares Nein zum »Geburtenkrieg« der rechten Parteien – mit entsprechenden Konsequenzen: Ich kann nicht mit meinen fünf vegan lebenden Kindern daherkommen, wenn ich der AfD keinen Gefallen tun will. Dieser Tage stellt sich zudem erneut die Frage, ob man Kinder für einen Krieg produzieren will. Ein Freund von mir ist auf den Straßen Israels unterwegs und macht darauf aufmerksam, dass in Kriegsgebieten ein »Birth Strike« besonders sinnvoll wäre. Den herrschenden Klassen war es immer dienlich, für mehr Masse und Menschen zu sorgen, denn damit können sie ihre Kriegsmaschinerie füttern – nach dem Motto: Was sind schon ein paar tausend Menschen hin oder her?

Wie unterscheidet sich die antinatalistische Debatte in Deutschland von der in anderen Ländern?

Debatten wie »Regretting Motherhood« gingen mit unglaublichen Anfeindungen einher, das liegt auch am anhaltenden Einfluss rechter Parteien. In Deutschland ist es weitgehend so, dass sich nur Frauen zwischen 20 und maximal 35 zum Thema Antinatalismus äußern dürfen, ältere Frauen jedoch nicht – die fallen dann in den »Altweibercontainer« und verderben die Jugend! Auch in den USA werden antifeministische Strategien gegenüber kinderfreien Frauen angewandt, Gloria Steinem spricht dennoch seit rund 60 Jahren zum Thema »Childfree Life« in der Öffentlichkeit. Es wird immer wieder versucht, daraus ein »Frauenthema« zu machen. Antinatalismus ist jedoch keine geschlechtsspezifische Angelegenheit, und es wäre interessant zu sehen, wie sich der Diskurs in Deutschland weiterentwickelt, wenn man andere Sprechpositionen zulassen würde. Ich kenne etwa einen jungen sterilisierten Antinatalisten, den ich gerne an Journalistinnen vermittle – um auch mal eine männliche Position dazu zu hören. In anderen Ländern ist das nichts Exotisches. Bei der »Childfree Convention« in Kanada etwa diskutieren Menschen jeden Alters und Geschlechts über ein kinderfreies Leben – und das sollte doch eigentlich selbstverständlich sein!

Verena Brunschweiger ist Philosophin und Sachbuchautorin.
Verena Brunschweiger: Kinderfreie aller Länder, vereinigt euch!, Edition Critic, Berlin 2023, 191 Seiten, 16 Euro

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