16.02.2024 / Kapital & Arbeit / Seite 9

Mindestlohnerhöhung gegen Migration

Britische Regierung verschärft Bedingungen für Arbeitserlaubnis. Kritik von Industrie und Gewerkschaft

Dieter Reinisch

Die britische Regierung hat ein neues Mindesteinkommen für Migranten festgelegt. Kritik daran kommt u.a. von der fleischverarbeitenden Industrie. Bei Unternehmen gebe es eine wachsende Panik, dass die am 4. April in Kraft tretenden Reformen das britische Wirtschaftswachstum hemmen und die Inflation befeuern könnten, hieß es in einer Mitteilung des Branchenverbandes British Meat Processors Association vom Mittwoch. Im Pflegebereich könnte sich der Arbeitskräftemangel verschärfen.

Im Ausland angeworbene Arbeitskräfte müssen künftig über ein Bruttojahreseinkommen von mindestens 38.700 Pfund Sterling (45.250 Euro) verfügen, um eine Arbeitserlaubnis zu erhalten. Bislang liegt die Grenze bei 26.200 Pfund Sterling (30.640 Euro). Ob die neuen Standards künftig auch bei der Verlängerung von Visa angelegt werden, hat das Innenministerium bislang offen gelassen. Die neuen Mindestlohnschwellen für ausländische Arbeitsvisa wurden von Innenminister James Cleverly am 30. Januar bekanntgegeben.

Ein Regierungssprecher bezeichnete das Gesetz als »das größte Vorgehen gegen legale Migration aller Zeiten«. »Wir glauben, dass dies ein Paket ist, das es uns ermöglichen wird, die Zahlen deutlich zu reduzieren und gleichzeitig Wirtschaftswachstum zu erzielen«, sagte er im Guardian. Nach Schätzungen der Regierung soll die Maßnahme dazu beitragen, die Nettomigration um 300.000 Menschen pro Jahr zu reduzieren. Im Wesentlichen ist es ein Versuch von Cleverly und Premierminister Rishi Sunak, die Konservativen als Antimigrationspartei zu positionieren.

Nun warnte der Verband der Fleischindustrie, die Einkommensgrenze liege über dem bisher für viele Berufe üblichen Verdienst und könne eine Welle von Klagen auslösen, wenn aus dem Ausland angeworbene Fachkräfte besser bezahlt würden als ihre einheimischen Kollegen. »Wir rechnen allein in unserem Sektor damit, dass die Kosten Hunderte von Millionen Pfund betragen werden, die Inflation ankurbeln und britische Exporte sehr viel weniger wettbewerbsfähig im Vergleich zur europäischen Konkurrenz machen werden«, hieß es in der Presseaussendung vom Mittwoch.

Unternehmen seien nicht in der Lage, mit den verfügbaren Arbeitskräften alle freien Stellen zu besetzen, führte der Verband aus: »Also brauchen wir Einwanderung.« Die Regelung der Regierung könne entweder dazu führen, dass Lebensmittel- und Einzelhandel, Gastgewerbe und Industrie die Preise für britische Verbraucher stark erhöhen, oder die Menge, die sie produzieren, reduzieren müssten.

Auch der größte private Pflegeanbieter des Landes ist in Aufregung. »Die Regierung macht es Pflegeanbietern schwerer, ausländische Arbeitskräfte zu rekrutieren«, erklärte Martin Green, Vorstandsvorsitzender von Care England, vor einigen Wochen.

Christina McAnea, Generalsekretärin der Unison-Gewerkschaft, machte derweil auf grundlegendere Probleme aufmerksam: »Die Regierung spielt Roulette mit wesentlichen Diensten, nur um ihre Basis und die extreme Rechte zu besänftigen.« Würde die Regierung die sozialen Probleme lösen und die niedrigen Löhne erhöhen, »gäbe es keinen solchen Mangel an Arbeitskräften«, so McAnea. Auch der Familiennachzug könnte durch das neue Gesetz verunmöglicht werden. Madeleine Sumption von der Universität Oxford sagte, der Schwellenwert bestimme, ob britische Staatsbürger »einen ausländischen Partner zum Leben im Vereinigten Königreich mitbringen können«. »Die größten Auswirkungen werden einkommensschwache Bürger haben, insbesondere Frauen und jüngere Menschen, die tendenziell niedrigere Löhne erhalten«, wurde Sumption im Guardian zitiert.

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