15.02.2024 / Betrieb & Gewerkschaft / Seite 15

Entkernte Richtlinie

Gesetz zur Regulierung von Plattformarbeit aufgeweicht. Mächtige EU-Staaten blockieren Rechte für Beschäftigte

Sebastian Edinger

Nachdem es im Dezember erst eine Einigung gab und dann doch so aussah, als würde die EU-Richtlinie zum Schutz von Plattformarbeitern komplett scheitern, ist den Verhandlungspartnern von EU-Kommission, Rat und Parlament im Trilog vergangene Woche doch noch eine Einigung gelungen. Doch um die von der französischen Regierung organisierte Blockade aufzulösen, waren weitgehende Zugeständnisse auf Kosten der scheinselbstständigen Arbeiter erforderlich.

Die wichtigste Änderung besteht im vollständigen Verzicht auf Kriterien für die Vermutung eines Angestelltenverhältnisses – und damit einer weitgehenden Aufweichung des Kerns der Richtlinie. Die Kommission hatte in ihrem ursprünglichen Entwurf fünf Kriterien definiert, die auf eine Unterordnung des Beschäftigten hindeuten – etwa eingeschränkte Möglichkeiten zur Aufnahme anderer Tätigkeiten oder Weisungsgebundenheit gegenüber dem Plattformbetreiber. Die Idee: Sind zwei dieser Kriterien erfüllt, wird die Existenz eines Angestelltenverhältnisses angenommen. Dem Beschäftigten müssen dann Rechte wie Kündigungsschutz oder Arbeitgeberbeiträge zur Krankenversicherung zugestanden werden.

In den Verhandlungen war die Liste auf sieben Kriterien erweitert worden, von denen drei erfüllt sein müssen. Doch der auf dieser Basis im Dezember erreichten vorläufigen Einigung verweigerte eine Staatengruppe um Frankreich die Unterschrift – und ließ damit den Deal platzen. Die Kriterien seien zu weit gefasst, die Ratspräsidentschaft habe ihr Mandat überschritten, hieß es zur Begründung. So würde verhindert, dass Plattformarbeiter, die gerne selbstständig arbeiten, dies auch tun können. Konträr zu diesem Argument wurde unter anderem gefordert, dass Beschäftigte Beweise vorlegen müssen, wenn sie die Feststellung eines Angestelltenverhältnisses einfordern.

In Reaktion auf die Pariser Blockade hatte die belgische Ratspräsidentschaft nach ihrem Amtsantritt zum Jahreswechsel den Text erneut geöffnet und Nachverhandlungen initiiert. Auf diesen basiert der nun verkündete Kompromiss. Er sieht vor, dass die Mitgliedstaaten jeweils selbst festlegen können, nach welchen Kriterien sie das jeweilige Beschäftigungsverhältnis der Arbeiter von Uber und Co. einstufen. Liberalisierungsfreundliche Regierungen haben somit eine Hintertür bekommen, die Vorschriften zu umgehen. Die Beweislast im Streitfall bleibt derweil bei den Firmen.

Weitgehend unangetastet blieben gegenüber der vorläufigen Einigung die geplanten Vorschriften für algorithmisches Management. Zwar werden die Plattformarbeiter nicht davor geschützt, von sogenannter Künstlicher Intelligenz (KI) unter Druck gesetzt und durch die Stadt gehetzt zu werden. Auch bleibt es zulässig, dass Algorithmen Aufträge an die Beschäftigten vergeben – oder eben nicht – und dass die Tools über Gehaltsentwicklungen und Entlassungen mitentscheiden. Dafür bekommen die Beschäftigten ein Recht darauf, zu erfahren, auf welcher Grundlage die Software ihre Entscheidungen trifft. Zudem müssen sie künftig einbezogen werden, wenn ein neues KI-System eingeführt werden soll.

Im EU-Parlament überwog nach Verhandlungsabschluss die Erleichterung, dass die Richtlinie doch nicht komplett gescheitert ist. So sprach etwa der CDU-Abgeordnete Dennis Radtke von einem »klaren Signal« an die Plattformbetreiber: »Faire Arbeitsbedingungen und Datenschutz gelten für alle.« Gabriele Bischoff, die arbeitspolitische Sprecherin der Europa-SPD, nannte die Einigung einen »wichtigen Schritt«. Die Richtlinie dürfe nun jedoch »nicht wieder im Rat scheitern. Alle Beteiligten müssen jetzt ihrer Verantwortung gegenüber den Millionen Plattformarbeiterinnen und -arbeitern gerecht werden.«

Tatsächlich ist die Zustimmung des Rates ungewiss. Voraussichtlich werden die Vertreter der Mitgliedstaaten bereits am Freitag über den finalen Text befinden. Dann wird sich zeigen, ob die Zugeständnisse an Frankreich ausreichen, um die Blockade aufzulösen. Doch auch die Bundesregierung hatte sich auf Bestreben der FDP hin der im Koalitionsvertrag zugesagten Unterstützung der Richtlinie zum Trotz bislang auf EU-Ebene stets enthalten – was vor dem Hintergrund des vorgesehenen Abstimmungsprozederes einem »Nein« gleichkommt.

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