08.01.2022 / 0

Jahresplan 2022

Warum die junge Welt auch 75 Jahre nach ihrer Gründung für manche gefährlich bleibt

Die Tageszeitungsbranche steckt schon seit längerem in einer dramatischen Krise. Das betrifft zum einen die ökonomische Seite, weil mit Zeitungen immer schwieriger Gewinne zu erwirtschaften sind. Zum anderen verlieren Tageszeitungen an Relevanz und Glaubwürdigkeit. Beide Punkte hängen eng zusammen: Wer starken Aboabgängen und enormer Kostenentwicklung vor allem mit saftigen Preiserhöhungen bei gleichzeitiger Qualitätsminderung (beispielsweise durch den Abbau von Personal) begegnet, macht sich selbst zum Auslaufmodell.

junge Welt atypisch

Die junge Welt bewegt sich hier atypisch: Zum einen konnte die verkaufte Auflage seit Gründung der Verlag 8. Mai GmbH im Jahr 1995 positiv entwickelt werden. Zum anderen beschäftigen Verlag und Redaktion heute deutlich mehr Kolleginnen und Kollegen als damals. Auch jW ist von dramatischen Preissteigerungen in Herstellung und Distribution betroffen. Aber wir mussten nicht (wie andere) zusätzlich die durch Aborückgänge verursachten Einnahmeverluste über Preisaufschläge ausgleichen.

Marxistische Orientierung

Wie aber ist dies zu erklären? Die guten Verkaufszahlen liegen vor allem im inhaltlichen Profil und damit im Nutzwert der Zeitung begründet. Mit unseren sehr bescheidenen Möglichkeiten (die junge Welt hat noch immer die mit Abstand kleinste Redaktion unter den überregionalen deutschen Tageszeitungen) versuchen wir jeden Tag, die Dinge zu beschreiben, so wie sie sind. Bei deren Analyse und Bewertung nutzen unsere Mitarbeitenden bewährte Methoden, die marxistisch geprägte Philosophie und politische Ökonomie zur Verfügung stellen. Ob in Lateinamerika, Asien, Afrika oder Europa: Es geht bei jedem Konflikt um konkrete Widersprüche. Jene, die über Produktionsmittel im großen Stil verfügen, haben sehr oft ganz andere Interessen als jene, die im wesentlichen vom Verkauf ihrer Arbeitskraft leben. Diesen Zwiespalt beschreiben wir, und zwar ausgehend von einem historisch-optimistischen Standpunkt. Wie bisher in der Geschichte aller Klassenkämpfe werden im Ergebnis – trotz aller Rückschläge – bestehende Verhältnisse durch bessere, humanere und produktivere aufgehoben: Eine andere Welt ist nötig und möglich!

Denkverbote

Gerade dieser Ansatz mache unsere Zeitung, deren Verlag und die LPG junge Welt eG gefährlich, meint der Inlandsgeheimdienst der Bundesrepublik Deutschland. Denn schon das Denken in marxistischen Kategorien gründe auf »Kompromisslosigkeit, Intoleranz und Feindschaft gegenüber abweichenden Politikvorstellungen« und sei schon deshalb gegen die »freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet« (aus einem Schriftsatz der Bundesregierung auf die jW-Klageschrift). Gerade weil die junge Welt in einem »nicht unerheblichen Teil der Öffentlichkeit Relevanz und damit eine Wirkmächtigkeit« entfalte, sei es das Ziel, ihr den »weiteren Nährboden entziehen zu können«. (Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Bundestagsfraktion Die Linke). Deshalb werden die junge Welt, der Verlag 8. Mai GmbH und die Genossenschaft mit geheimdienstlichen Mitteln drangsaliert und im jährlichen Verfassungsschutzbericht als gesichert »linksextremistische«, also verfassungsfeindliche Strukturen gelistet. Gegen diese seit über 24 Jahren andauernde Praxis ist der Verlag 8. Mai nun juristisch vorgegangen und verlangt deren sofortige Unterlassung. Eine erste grundsätzliche Entscheidung des Berliner Verwaltungsgerichtes wird schon in den nächsten Wochen erwartet.

Alle Linken im Visier

Dabei muss jedem klar sein, dass es hier nicht nur um die junge Welt geht. Der Angriff gilt allen Personen und Organisationen, die marxistische Erkenntnisansätze nutzen. Gewerkschafter, Künstler, Wissenschaftler, Journalisten, Lehrende, auch linke Christen und Sozialdemokraten oder nicht wenige Gliederungen und Mitglieder der Partei Die Linke werden mit diesem aktuellen Ansatz des Geheimdienstes ins Visier genommen. Betroffen sind auch unsere Leserinnen und Leser sowie sehr viele von jenen, die es noch werden könnten. Dieser Angriff gilt allen, die mit bestehenden Verhältnissen nicht einverstanden sind und für Veränderung eintreten. Wenn diese perfide Attacke auf die Vernunft nicht abgewehrt wird, verschlechtern sich die Kampfbedingungen für alle konsequent linken Kräfte in Deutschland deutlich. Gemeinsam mit anderen fortschrittlich eingestellten Personen und Organisationen können wir dies aber verhindern.

Auf Veränderungen einstellen

Schon heute kostet uns dieser Kampf viel Kraft, Zeit und Geld, die uns für andere zentrale Aufgaben fehlen: Um die anstehenden Kostenentwicklungen stemmen zu können, müssen wir Relevanz, Reichweite und die Verkäufe der jungen Welt deutlich steigern! Dabei sind wir auch weiterhin auf die Unterstützung durch unsere Leserinnen und Leser angewiesen. Sie ist ein weiterer Grund dafür, dass wir trotz aller Probleme in der Zeitungsbranche relativ gut dastehen. Zwar gibt es immer wieder auch Auseinandersetzungen, Zweifel, Verärgerung über einzelne Aspekte unserer Arbeit – aber die junge Welt bleibt trotz aller Probleme und Schwächen unverwechselbar und gerade deshalb unverzichtbar. 75 Jahre nach der Gründung der Zeitung und 27 Jahre nach Entstehen der Verlag 8. Mai GmbH sind jetzt einige Weiterentwicklungen nötig, um den kommenden Anforderungen gerecht werden zu können. Deshalb wollen wir 2022 eine Reihe von strukturellen Änderungen umsetzen. Das betrifft im Verlag vor allem den Umbau der Bereiche Aktion und Kommunikation sowie die Umgestaltung der jW-Ladengalerie zu einer Kunstgalerie mit TV-Studio. Produktion und Gestaltung der Zeitung und anderer Verlagsprodukte sollen auf eine stabilere Grundlage gestellt werden. Redaktionell sind für den Onlinebereich einige Neuerungen vorgesehen, etwa die Einführung einer jW-App im Frühjahr. In unserer Printausgabe wird endlich eine Wissenschaftsseite eingeführt. Gerade der aktuelle Angriff der Bundesregierung auf unseren wissenschaftlichen Ansatz hat uns die Notwendigkeit dazu noch einmal sehr deutlich vor Augen geführt.

Feste arbeiten und feiern

Leider können wir coronabedingt nicht, wie ursprünglich geplant, unseren 75. Geburtstag im Februar mit einer großen Kulturveranstaltung feiern. Aber wie Sie sehen, haben wir auch im 76. Jahr unseres Bestehens viele Pläne: Aus unserer Vergangenheit schöpfen wir viel Kraft für die Zukunft! Und zum Feiern kommen wir dann doch noch: Für Mai ist ein Straßenfest geplant, und im Festzelt von jW und M & R beim UZ-Pressefest Ende August 2022 wird es ein besonderes Geburtstagsprogramm geben, wozu wir Sie schon heute herzlich einladen!

Wie Sie helfen können

Es gibt viele Möglichkeiten, uns bei der Umsetzung dieser Pläne zu helfen. Die wichtigste bleibt das Einwerben neuer Abonnements und der Kauf der Zeitung am Kiosk. Unsere Genossenschaft LPG junge Welt eG freut sich über neue Mitglieder oder jeden zusätzlich gezeichneten Anteil. Wichtig bleiben auch Spenden, etwa für den Prozesskostenfonds oder für die Finanzierung der Rosa-Luxemburg-Konferenz. Und das Aktionsbüro freut sich über jede Form der praktischen Unterstützung beim Bekanntmachen der Tageszeitung junge Welt, etwa durch Verteilaktionen. Für welchen Beitrag Sie sich auch entscheiden: Gemeinsam lassen wir es nicht zu, dass in diesem Land die Kräfte des Friedens und des Fortschritts behindert oder gar zum Schweigen gebracht werden!

Verlag, Redaktion, Genossenschaft junge Welt

https://www.jungewelt.de/aktion/jwstaerken/418658