25.03.2021 / Feuilleton / Seite 11

Inzidenz

Dusan Deak

Die Regierungsinzidenz steigt unaufhörlich. Als Regierungsinzidenz bezeichnen Fachleute das Verhältnis zwischen allen und den falschen von der Regierung getroffenen Entscheidungen. Sie dient als Maß der Regierungstauglichkeit und -effektivität und wird in unregelmäßigen Abständen vom Norbert-Loch-Institut (ehemals Noelle-Neumann) für jedes Regierungsmitglied individuell erstellt und veröffentlicht. Wenn also von zehn getroffenen Entscheidungen neun falsch sind, ist das Verhältnis der falschen zu allen Maßnahmen 9:10, damit beträgt die Regierungsinzidenz 0,9. Etwas komplizierter wird das Ganze, wenn der gemessene Wert eins übersteigt, also wenn von zehn Entscheidungen beispielsweise elf falsch sein sollten. Dann übersteigen die falschen Entscheidungen die reale Anzahl aller getroffenen. Man kann eine solche Maßzahl nur durch aufwendige algorithmische Approximationen (Schätzungen) künftiger Fehlentscheidungen der Regierungsmitglieder mittels Hochleistungs-Bitcoin-Computern berechnen, die sich dabei übermäßig erhitzen können und Gefahr laufen, versehentlich größere Mengen an Bitcoins zu verbrennen. Mit gewohnter, fast schon routinemäßiger Zuverlässigkeit erreichen Kanzlerin Angela Merkel und Wirtschaftsminister Peter Altmaier Werte zwischen 1,8 und 2,0 und gehören damit zu den Spitzenreitern.

Diese Situation der Regierungskreise erinnert ein wenig an das »schwedisch-britische Roulettemodell«, wie das Fachpublikum bisweilen neckisch das Verimpfen des Astra-Zeneca-Vakzins nennt. Das Risiko, dass eine solche Impfung ohne Zwischenfälle verläuft, ist nicht sehr hoch und wird unter Londoner Buchmachern mit eine Quote von 11:10 notiert. Bei einer zu routinemäßigen Komplikation bekommt der Wettkunde bei zehn eingesetzten Britischen Pfund nur elf zurück. Nur geringfügig mehr bezahlen die Buchmacher in dem Fall, dass man als Fußgänger auf der Strecke zwischen Saarlouis und Saarbrücken von einer Kolonne Tandemradfahrerinnen mehrmals hintereinander überfahren wird.

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