13.10.2020 / Schwerpunkt / Seite 3

Hintergrund: Kleine Patienten in Not

Quarantäne, Ausgrenzung, Armut: Kinder stehen in der Coronakrise hintan, wie inzwischen zahlreiche Forscher und Pädagogen eindringlich warnen. Auch der Pflegenotstand trifft sie immer härter. Deshalb sprach die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie und Angeborene Herzfehler (DGPK) Ende September in einem Brief an Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) von Kindeswohlgefährdung.

Rund 7.000 Neugeborene kommen demnach jährlich mit einem angeborenen Herzfehler zur Welt. Sie müssten adäquat versorgt, viele von ihnen schnellstmöglich operiert werden, heißt es darin. »Doch in der Kinderherzmedizin haben derzeit bundesweit alle Kliniken sehr große Schwierigkeiten, den Versorgungsauftrag der Bundesländer für diese oftmals schwer herzkranken Säuglinge in einem Zeitfenster zu gewährleisten, den die Leitlinien vorgeben«, so die Organisation. Infolgedessen würden mehr Betroffene zu spät operiert. Das Risiko bleibender Schäden oder gar eines tödlichen Ausgangs steige somit, längere Aufenthalte auf Intensivstationen würden nötig.

Als Grund nannten die Autoren und Herzspezialisten Joachim Photiadis, Nikolaus Haas und Jörg Sachweh einen wachsenden Mangel an qualifizierten Kinderpflegekräften. Ihre Zahl sei allein 2017 gegenüber dem Vorjahr von bundesweit 40.200 auf 37.500 Beschäftigte gesunken. Deshalb müssten Kinderherzkliniken derzeit bis zu ein Drittel ihrer Betten auf den Intensiv- und Normalpflegestationen sperren. »Geplante Eingriffe müssen häufig mehrmals verschoben werden«, mahnen sie. Das führe zu Wartezeiten von bis zu einem halben Jahr bei geplanten Eingriffen. »Je länger die Warteliste, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass sich der Gesundheitszustand eines Kindes verschlechtert«, so die Ärzte. Dies gefährde die kleinen Patienten und verunsichere ihre Eltern.

Die Situation wird demnach immer dramatischer. Aufgrund des Mangels und festgesetzter Personaluntergrenzen würden Kliniken sich gegenseitig Personal abwerben. Spezialfachkräfte würden dadurch auch abgezogen, um etwa Frühgeborene zu versorgen. Das liege zum einen an der Entlohnung; obwohl die Operationen oft viele Stunden dauerten und sich eine komplizierte Intensivpflege anschließe, bekämen Beschäftigte keine Erschwerniszulage. Andererseits sei die nötige Spezialisierung nicht mehr Teil der Pflegeausbildung. Doch die Kosten dafür seien nicht durch die Fallpauschalen gedeckt. Eine Vergütung von entsprechenden Pflegedozenten sei auch nicht vorgesehen. »Diese Finanzierungslücke muss dringend geschlossen werden«, fordern die Autoren. Der Brief wurde von mehr als 40 Fachärzten aus der ganzen Bundesrepublik unterzeichnet. Eine Reaktion aus dem Bundesgesundheitsministerium steht aus. (sbo)

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