05.10.2020 / Schwerpunkt / Seite 3

Hintergrund: Gunst der Stunde

Wiebke Diehl

Obwohl sie sich formal im Krieg miteinander befinden, haben der Libanon und Israel vergangene Woche vereinbart, unter US-amerikanischer und UN-Vermittlung Gespräche über ihre ungeklärte Seegrenze aufzunehmen. Nach der gescheiterten Regierungsbildung im Zedernstaat sowie angesichts der fatalen wirtschaftlichen und sozialen Lage, die durch die schweren Detonationen im Hafen von Beirut Anfang August noch einmal deutlich verschärft worden ist, waren die Bedingungen günstig für die Initiative der US-Regierung. US-Außenminister Michael Pompeo sprach von fast drei Jahren »intensiver diplomatischer Bemühungen«, die den ersten direkten politischen Gespräche zwischen beiden Ländern vorausgingen. Bereits nächste Woche soll es ein Treffen in der südlibanesischen Grenzstadt Nakura geben. Und das, obwohl eine große Mehrheit der libanesischen Bevölkerung jegliche Kontakte zu Israel bis heute ablehnt und erst am 12. September einem türkischen Flugzeug eine Landegenehmigung in Beirut verweigert wurde, weil es statt der üblichen Umgehungsroute den israelischen Luftraum benutzt hatte.

Ziel der Verhandlungen ist neben der Ziehung einer Demarkationslinie, vor allem auch eine Einigung über die Erschließung der 2010 entdeckten umfangreichen Erdgasvorräte im Mittelmeer. Beirut erhofft sich davon dringend benötigte finanzielle Entlastung in der schwersten Wirtschafts- und Finanzkrise des Landes seit Ende des Bürgerkriegs. Bis heute gibt es Streit zwischen Israel und dem Libanon um ein Gebiet von 860 Quadratkilometern Größe mit Gasvorräten. Die israelische Vergabe von Lizenzen für die Felder »Leviathan« und »Tamar« hat zu verstärkten Spannungen geführt, genau wie die libanesische für das Fördergebiet »Block neun«. Zudem verdächtigt Beirut Israel, mittels Horizontalbohrungen über das 2013 entdeckte Feld »Karish« angrenzende libanesische Vorräte auszubeuten.

Höchst unwahrscheinlich ist, dass es in Nakura auch zu Verhandlungen über die Landgrenze kommen wird. Dies bestätigte auch David Schenker, Staatssekretär für den Nahen und Mittleren Osten im US-Außenministerium. Immer wieder kommt es an der »Grünen Linie« zu bewaffneten Auseinandersetzungen. Erst 22 Jahre nach Verabschiedung der UN-Sicherheitsratsresolution 425 haben sich die israelischen Truppen im Mai 2000 wegen des anhaltenden Drucks der Hisbollah aus dem Südlibanon zurückgezogen. Die Schebaa-Farmen, ein kleines Stück Land im Länderdreieck zwischen Syrien, Libanon und Israel aber halten sie seit 1967 bis heute besetzt. (wd)

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