08.09.2020 / Feuilleton / Seite 11

Am Bahnhof, am Faden, am Bau: Jiri Menzel (1938–2020)

Mitte bis Ende der 60er Jahre war der Film in der CSSR voll auf der Höhe, und die Komödien von Jiri Menzel gehörten zum Komischsten und Besten überhaupt. Sein Debüt »Liebe nach Fahrplan« (1966) nach einer Prosavorlage von Bohumil Hrabal zeigte den Widerstand gegen die faschistischen Besatzer, aber nicht nur. Eisenbahnlehrling Milos verrichtet in den letzten Kriegswochen auf einem kleinen Bahnhof seinen Dienst, hat die üblichen Probleme beim Erlangen sexueller Reife und sprengt am Ende einen Munitionszug in die Luft. Heroismus ganz ohne Pathos, dafür mit unaufdringlichem Humor und einem subtil satirischen Blick voller Zärtlichkeit. Das war so ungefähr der Kosmos des 1938 in Prag geborenen Regisseurs, Sohn eines Zeitschriftenredakteurs, Schriftstellers und Trickfilmdramaturgen.

1957 wurde Menzel an der Prager Filmakademie FAMU aufgenommen, auf der er 1965 mit seinen Kommilitonen die »Nouvelle Vague« zur Runderneuerung des tschechoslowakischen Kinos anschob. 1968/69 wurde der Höhenflug aus bekannten Gründen gestoppt, Menzels Film »Lerchen am Faden« (1969) erhielt keine Freigabe. Der verhalten optimistische Ansatz reichte dafür nicht aus. Handlungsort ist ein riesiger Schrottplatz in den Hüttenwerken von Kladno, die in den 50er Jahren als Umerziehungslager für »bourgeoise Elemente« gedient hatten. Dort verdingen sich Ärzte, Ingenieure, Wissenschaftler und andere Intellektuelle. Alle liebevoll gezeichnet, dazu viel Situationskomik. Die meisterhafte Groteske kam 20 Jahre später in die Kinos und erhielt 1990 den Hauptpreis der Berlinale.

Die Zwischenzeit hat Menzel nicht etwa im Straflager verbracht, er spielte in Filmen von Kollegen mit – am Ende waren es 75 –, inszenierte Theaterstücke und weiter Kinofilme. »Wer den goldenen Boden sucht« (1974), eine sozialrealistische Geschichte über einen jungen Arbeiter, brachte ihm Vorwürfe ein, sich anzubiedern. 14 Jahre später erklärte er dazu in einem Zeitungsinterview: »Auf dem Bau lernte ich sehr anständige Menschen kennen, und überhaupt, einen Film über die Arbeit zu machen, ist – denke ich – nützlicher, als einen Film über Morde zu drehen.«

In den 80ern brach Menzel in der CSSR Publikumsrekorde mit Komödien wie »Kurzgeschnitten« (1981, zwei Millionen Zuschauer) oder »Heimat, süße Heimat« (1985, fünf Millionen). Höchstmarken, die durch seine Hrabal-Verfilmung »Ich habe den englischen König bedient« (2006) noch übertroffen werden sollten, der bisher teuerste tschechische Film, nicht frei von »Kitsch und Altersgeilheit«(jW vom 26.8.2008). Am Sonnabend ist Menzel im Alter von 82 Jahren in Prag gestorben. (xre)

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