13.03.2020 / Feuilleton / Seite 11

Der Mann mit dem Hund

Götz Eisenberg

Bei meinen Spaziergängen rund um den Gießener Schwanenteich begegne ich gelegentlich einem älteren Mann mit einem kleinen Hund. Der Mann trägt meist eine Wollmütze auf dem Kopf, einen Schal um den Hals und einen Mantel. Sein Bart ist grau. Ich vermute, dass er irgendwann einmal aus den anatolischen Bergen oder aus Persien eingewandert ist und sich hier für irgendeinen Bauunternehmer verausgabt hat. Schal und Mütze schützen ihn nicht nur vor der Witterung, sie dienen ihm als Isolierung gegen eine trostlose und kalte Gegenwart. In ihnen scheint etwas von einer besseren Vergangenheit aufbewahrt. Seine offenkundige Armut ist voller Würde. Der Hund hat ein helles Fell und liegt dösend neben ihm auf einer Bank. Beide sind alt und strahlen eine große Ruhe und Gelassenheit aus. Im Laufe der Jahre ist es zu einer Osmose zwischen Herr und Hund gekommen, das heißt, sie sind einander ähnlich geworden. Der Hund hat Arthrose und sein Herr ebenfalls. Beide sind nicht mehr so gut zu Fuß. Seit einiger Zeit ist aus unserem Blickverhältnis ein Grußverhältnis geworden. Ich freue mich, wenn ich die beiden sehe. Manchmal wechseln wir ein paar Worte. Der alte Mann lacht gern und erzählt von seinem Hund. Neulich fragte er mich, ob ich Deutscher sei. Ich sei so freundlich, und das sei untypisch für einen Deutschen. Die meisten verhielten sich abweisend und wirkten unglücklich und mürrisch in ihrer Haut. Ich nahm diese Bemerkung als Kompliment und verabschiedete mich lachend von ihm und dem kleinen Hund.

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