29.01.2020 / Feuilleton / Seite 1 (Beilage)

Sammeln und vernetzen

Macht der Straße – Linke in Bewegung: Das war die XXV. Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz

Stefan Huth

Lange Schlangen an den Kassen, Andrang an den Ständen von Initiativen, Organisationen, Verlagen und Antiquariaten. Buntes Volk und allerhand Trubel auf den Gängen. Viele altbekannte Gesichter und ebenso viele neue, vor allem junge. Keine Spur von Erstarrung oder Nostalgie zeigte die »Jubiläumsausgabe« der Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz (RLK), die im Januar zum 25. Mal in Berlin stattfand. Höchst lebendig präsentierte sich die Linke bei ihrem schon traditionellen Neujahrstreffen und zeigte eindrucksvoll, dass auch in Zeiten gesellschaftlichen Rückschritts und wachsender Kriegsgefahr mit ihr zu rechnen ist.

Bereits zu Beginn der ganztägigen Veranstaltung war der große, im Vergleich zum vergangenen Jahr noch einmal um etliche Sitzplätze erweiterte Saal im Tagungshotel Mercure in Berlin-Moabit gut gefüllt, als Otto Köhler, langjähriger jW-Autor und -Unterstützer, Glückwünsche von Redaktion, Verlag und Publikum zu seinem 85. Geburtstag entgegennahm. Rasch waren dann auch die übrigen Plätze besetzt. Insgesamt fand die Konferenz mit rund 3.000 Gästen eine vergleichbare Resonanz wie die vom Vorjahr, als ein Besucherrekord vermeldet werden konnte.

Die »Macht der Straße« war das Thema, Rednerinnen und Redner aus Frankreich, Israel, den USA, Kolumbien und Kuba berichteten von Kämpfen für den Fortschritt in ihren Ländern. Karl Ghazi von der Gewerkschaft CGT schilderte, wie soziale Gegenmacht, insbesondere die »Gelbwesten«-Bewegung, neoliberaler Kahlschlagpolitik der Regierung Macron Grenzen setzt. Die Menschenrechtsanwältin Lea Tsemel aus Jerusalem – »Antideutsche« hatten im Vorfeld versucht, ihren Auftritt in Berlin zu verhindern – schilderte plastisch, wie das israelische Besatzungsregime systematisch Völkerrecht bricht, nicht aber den Widerstandswillen der Palästinenser. Tory Russell, Vertreter der »International Black Freedom Alliance«, konstatierte: »Wir können nicht zulassen, dass Identitätspolitik unsere Bewegung abbremst« und rief zur Einheit der Linken auf. Auch in Kolumbien ist die Rechte auf dem Vormarsch, auch dort stößt sie auf Widerstand. Die Gewerkschafterin Luz Diáz unterstrich, »dass man die Angst überwinden kann, wenn man sich auf die Straße traut«. Auf eine lange Tradition des Widerstands gegen einen übermächtigen Gegner kann Kuba zurückblicken. In jüngster Zeit hat die Blockadepolitik Washingtons gegen den sozialistischen Inselstaat an Schärfe zugenommen, wie der Journalist und Politiker Yoerky Sánchez Cuellar berichtete. Die revolutionären Errungenschaften, betonte er, stünden jedoch nicht zur Disposition, im Gegenteil. Überhaupt Lateinamerika: In vielen Staaten des Kontinents kommt es derzeit zu einem reaktionären Rollback, sehen sich progressive Kräfte bedroht. Internationale Solidarität spendet hier Kraft und Hoffnung: Die Manifestation für Frieden und sozialen Fortschritt in Lateinamerika war ein Höhepunkt der Konferenz.

Die RLK ist nicht ohne junge Welt denkbar. Sie ist aufs engste mit dieser Tageszeitung und ihren Themen verbunden, gleichsam eine jW-Ausgabe mit anderen Mitteln. Das gilt auch für die Kultur, die hier kein Anhängsel, sondern integraler Bestandteil des Ganzen ist, von den Songs der Berliner Folkpunkband »The ­Pokes« über die Kunstausstellung der Gruppe »Tendenzen« bis zur Aufführung von »Das Floß der Medusa« nach Hans Werner Henzes Requiem für Che Guevara durch Rolf Becker, Hannes Zerbe und ein kleines Ensemble virtuoser Jazzmusiker.

Es ist diese spezifische Mischung, die die Konferenz einmalig macht. Ihr Erfolg basiert auf einer kollektiven Anstrengung, die viele Beteiligte immer wieder an die Grenzen ihrer Kräfte bringt. Allen Helferinnen und Helfern gilt daher der besondere Dank von Redaktion und Verlag.

https://www.jungewelt.de/beilage/art/370934