04.11.2019 / Schwerpunkt / Seite 3

Hintergrund: »Wertepartner« Indien

Außenminister Heiko Maas versteht etwas von westlichen Werten. Kaum ist er von Reisen zurück, die ihn zwecks Ausbau der Kooperation in die Türkei, nach Ägypten und nach Libyen geführt haben – Länder, die von berühmten »Menschenrechtlern« wie Recep Tayyip Erdogan oder Abdel Fattah Al-Sisi geführt werden –, da bricht er schon wieder auf, diesmal nach Indien. Man habe mit dem Land »einen Partner«, der »unseren Werten (…) viel näher steht« als China, verkündet der Sozialdemokrat.

Indiens hindunationalistische Regierung hat, seit sie 2014 an die Macht kam, in zweierlei Hinsicht für Schlagzeilen gesorgt. Die eine: Sie verschärft die religiösen Spannungen im Land und erhöht den Druck auf die rund 200 Millionen indischen Muslime. Die sozialen Spannungen steigen; Muslime werden aus dem öffentlichen Raum zurückgedrängt, physische Attacken etwa auf muslimische Kleinhändler nehmen zu. In den vergangenen vier Jahren begingen radikale Hindus Dutzende Lynchmorde an Muslimen. Menschenrechtler schlagen seit Jahren Alarm.

Hinzu kommt ein Zweites: Seit Jahrzehnten gehen die indischen Repressionskräfte mit äußerster Brutalität gegen – teils dschihadistische – Separatisten in Jammu und Kaschmir vor. Schon 2006 klagte Human Rights Watch, der Gewalt vor allem im Kaschmir-Tal seien seit 1989 nicht nur zahllose Separatisten, Polizisten und Soldaten zum Opfer gefallen, sondern außerdem »mindestens 20.000 Zivilisten«. Andere Schätzungen lagen deutlich höher. Inzwischen liegen mehrere Berichte der Vereinten Nationen vor; dem jüngsten zufolge, der im Juli 2019 veröffentlicht wurde, wurden bei Operationen der indischen Repressionskräfte allein im letzten Jahr 71 Zivilisten getötet. Hunderte, vielleicht gar Tausende verloren zudem durch Schüsse indischer Militärs mit Luftgewehren ihr Augenlicht. Geschähe derlei in gegnerischen Staaten, hätte der Wertekrieger Maas längst härteste Sanktionen durchgesetzt. Indien aber ist »Wertepartner«; Gewalt stört da nicht. (jk)

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