28.08.2019 / Ausland / Seite 1 (Beilage)

Österreich nach »Ibiza«

Nach 18 Monaten rechter Regierung wird der Nationalrat am 29. September neu gewählt. Trotz Skandalen sind große Veränderungen unwahrscheinlich

Frederic Schnatterer

Die österreichische Politik der vergangenen Monate hatte Unterhaltungswert: Im Mai führte der »Ibiza-Skandal« zum Auseinanderbrechen der »türkis-blauen« Regierung, nachdem ein Video veröffentlicht worden war, in dem der damalige FPÖ-Chef und spätere Vizekanzler Heinz-Christian Strache der vermeintlichen Nichte eines russischen Oligarchen Staatsaufträge im Gegenzug für eine Parteispende anbietet. Einige Wochen später sorgte die »Schredderaffäre« für Aufregung in der Alpenrepublik – ein Mitarbeiter des damaligen Bundeskanzlers Sebastian Kurz (ÖVP) hatte mehrere Festplatten zerstören lassen. Wie am 15. August bekannt wurde, prüft die Staatsanwaltschaft nun einen Zusammenhang zwischen beiden Vorgängen. Die 18 Monate dauernde »türkis-blaue« Regierung ist also noch lange nicht aufgearbeitet, weshalb diese Beilage einen Blick auf ihr Wirken werfen möchte.

Gleichzeitig geht es jedoch auch darum, was mit einer neuen Regierung auf die Alpenrepu­blik zukommt. Am 29. September wird der Nationalrat – das österreichische Parlament – neu gewählt. Wieviel wirklich Neues diese Wahl mit sich bringen wird, ist fraglich. Das liegt einerseits an den zur Wahl stehenden zukünftigen Abgeordneten: Die Listen, über die die Kandidaten in das Parlament einziehen werden, unterscheiden sich, vor allem, was die der Großparteien betrifft, nur geringfügig von jenen beim letzten Urnengang 2017. Andererseits hat sich – glaubt man den Umfragen – an der Wählergunst für die einzelnen Parteien nichts grundlegend geändert. So scheinen die ehemaligen Koalitionspartner ÖVP und FPÖ keinen Schaden an den Skandalen genommen zu haben, wie auch Simon Loidl in seinem Artikel »Politik für Reiche« darlegt. In diesem bilanziert der Autor die Amtszeit der rechten Koalition und kommt zu dem Schluss, dass während dieser 18 Monate vor allem die Wünsche der Unternehmerverbände umgesetzt wurden.

Die größte Oppositionsfraktion im Nationalrat stellen die Abgeordneten der sozialdemokratischen SPÖ. Wie Erwin Riess in seinem Artikel herausstellt, ist die Partei außerhalb Wiens mittlerweile fast bedeutungslos, was einerseits an internen Querelen, jedoch vor allem an der von ihr verfolgten arbeiterfeindlichen Politik liegt. Auch verbale Bekenntnisse zum »Sozialstaat« helfen da nicht viel. Als weiterer – wenn auch nicht im Nationalrat vertretener – Teil der Opposition kämpft die Kommunistische Partei Österreichs (KPÖ) zumindest auf lokaler Ebene teils beeindruckend ums Überleben. Am Beispiel Steiermark und insbesondere Graz gelingt es Christian Kaserer in seinem Artikel »Transparenz und Teewasser« aufzuzeigen, dass mit »konkreter und spürbarer Arbeit statt mit abstrakten Ideen und Theorien« erfolgreich Politik gemacht werden kann. Doch nicht nur in Graz – immerhin der zweitgrößten Stadt Österreichs –, sondern auch in weiteren Gemeinden und Städten verzeichnet die Partei, teilweise im Bündnis mit anderen, achtbare Erfolge.

Und was machte und macht die bürgerliche Opposition? Christoph Mackinger beschreibt in seinem Artikel, wie keine im Nationalrat vertretene Partei inmitten des von der ehemaligen Koalition geprägten migrationsfeindlichen Diskurses in der Lage war, eigenen Positionen Geltung zu verleihen. Laut Autor bleibt allerdings abzuwarten, inwiefern sich zum Beispiel die Grünen, die Liste »Jetzt« oder die »Neos« angesichts der an Bedeutung gewinnenden Debatten zum Klimaschutz profilieren können.

In einem abschließenden Beitrag befasst sich Oliver Rast mit einigen Protagonisten der linken österreichischen HipHop-Szene, die trotz der ernüchternden Perspektive gegen das Gefühl der Macht- und Hilflosigkeit anrappt und ihre Hoffnung auf eine bessere Zukunft nicht aufgibt.

https://www.jungewelt.de/beilage/art/360170