31.08.2019 / Inland / Seite 1 (Beilage)

Augen zu und aufgerüstet

Trotz größter Herausforderungen beim Umweltschutz steigen Ausgaben für Kriegsgerät. Aufkündigung des INF-Vertrags führt zu Wettrüsten

Claudia Wangerin

Die Aussichten sind düster: Während in Polen das Gedenken an die Opfer des deutschen Überfalls vor 80 Jahren und des gesamten Zweiten Weltkriegs vom Geschichtsbild der rechten Regierungspartei PiS geprägt ist, hat die US-Administration mit ihrem Ausstieg aus dem INF-Abrüstungsvertrag alles getan, um ein nukleares Wettrüsten in Gang zu setzen. Auch Russland sah sich mit diesem Schritt nicht mehr an den Vertrag zum Verbot landgestützter atomarer Mittelstreckenraketen gebunden – und nach einer sechsmonatigen Übergangsfrist ist das Abkommen seit Anfang August Geschichte. US-Präsident Donald Trump drohte unlängst auch noch dem Iran mit »Auslöschung«. Und die deutsche Bundesregierung? Die hat nach eigenen Angaben hier stationierte US-Truppen mit 243 Millionen Euro in den letzten sieben Jahren unterstützt, will aber auch das eigene Militär im öffentlichen Raum sichtbarer machen.

Die Prioritäten sind klar: Pflegekräfte und Feuerwehrleute haben den falschen Beruf erlernt, um in Deutschland kostenlos mit der Bahn fahren zu dürfen. Anerkennung in dieser Form wird ab dem 1. Januar 2020 einer ganz anderen Gruppe zuteil: »Unsere Soldatinnen und Soldaten stehen jeden Tag weltweit mit Leib und Leben für unser Land ein«, erklärte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) Mitte August bei der Bekanntgabe der geplanten Neuerung – »sie verdienen unseren Respekt und unseren Dank«. Dass diejenigen, die tatsächlich einsatzbedingt ihr Leben verlieren könnten, gut 5.000 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt sind, zum Beispiel in Afghanistan oder Mali, und was das mit Landesverteidigung zu tun hat, sagte sie nicht.

Die Bundeswehr mag im Vergleich zu anderen NATO-Armeen zur Zeit als Lachnummer gelten – der deutsche Rüstungsetat ist dies verglichen mit anderen Posten im Bundeshaushalt nicht. Mit 43,23 Milliarden Euro ist für »Verteidigung« in diesem Jahr deutlich mehr Geld vorgesehen als für die Bereiche Umwelt, Gesundheit, Bildung und Forschung zusammen. Trotz aller bekannten Herausforderungen sind für den Schutz der natürlichen Umwelt nur 2,29 Mi­lliarden eingeplant, für den Gesundheitsbereich 15,31 Milliarden sowie für Bildung und Forschung 18,30 Milliarden.

Wie ihre Amtsvorgängerin Ursula von der Leyen will Wehrministerin Kramp-Karrenbauer die Rüstungsausgaben aber noch steigern und hat sich zum NATO-Ziel von zwei Prozent des jeweiligen Bruttoinlandsprodukts bekannt. Im Jahr 2018 entsprachen die Ausgaben in diesem Bereich 1,24 Prozent des BIP der Bundeserepublik, der diesjährige Etat dürfte etwa 1,36 Prozent ausmachen.

Von zahlreichen Forderungen der Jugendbewegung »Fridays for Future«, die für die Einhaltung der Pariser Klimaschutzziele kämpft, stieß bei der etablierten Politik noch am ehesten der Punkt »CO2-Steuer« auf Gegenliebe – dabei wäre nicht zuletzt der Ausstieg aus der Kohleverstromung bis 2030 entscheidend. Statt das nötige Geld für die Energie- und Verkehrswende den Endverbrauchern aus der Tasche zu ziehen, könnten erstmal diverse Auslandseinsätze der Bundeswehr beendet werden, die zum Beispiel in Afghanistan – Überraschung – auch nach 18 Jahren nicht für Frieden, Sicherheit und Demokratie gesorgt haben.

Dass etliche Berufs- und Zeitsoldaten dieser Armee selbst nicht auf dem Boden des Grundgesetzes stehen, sondern eine offen rassistische Regierung bevorzugen würden, ist längst ein offenes Geheimnis. Aber auch Spitzenpolitiker der Grünen, die bei der EU-Wahl als Ökopartei »gegen rechts« wahrgenommen wurde, sind scharf auf weitere Auslandseinsätze der Bundeswehr.

Die Antikriegsbewegung hat derweil nicht zuletzt Profiteure der weltweiten Militärgewalt im Blick. Unter dem Motto »War starts here« (»Der Krieg beginnt hier«) wollen die Aktiven vom 1. bis zum 9. September dem deutschen Rüstungskonzern Rheinmetall auf die Pelle rücken – mit einem Antikriegscamp im niedersächsischen Unterlüß, wo zum Beispiel der Schützenpanzer »Puma« produziert wird.

https://www.jungewelt.de/beilage/art/359212