17.07.2019 / Kapital & Arbeit / Seite 1 (Beilage)

Widerstand gegen Spekulanten

Verdrängung und Preistreiberei stehen nicht mehr nur in den Metropolen auf der Tagesordnung. Doch alternative Formen des Zusammenlebens werden vorstellbar

Jan Greve und Marc Bebenroth

Im Kampf ums Wohnen steht dem Immobilienkapital eine wachsende Mieterbewegung gegenüber, die von der Kapitalseite wohl noch nicht als echte Bedrohung begriffen wird. So titelte die Frankfurter Allgemeine Zeitung Mitte April: »Wieso enteignen? Unsere Aktien kann jeder kaufen.« Das Zitat stammt von Thomas Hegel, früherer Chef des drittgrößten deutschen Immobilienkonzerns, der LEG Immobilien AG. Hegel bezog sich damit auf das in Berlin gestartete Volksbegehren »Deutsche Wohnen und Co. enteignen«, das ein Gesetz zur Vergesellschaftung von Unternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen zum Ziel hat.

Die Debatte in der Bundeshauptstadt hat – das zeigt die lapidare »Antwort« des Exkonzernlenkers – eines geschafft: Es wird laut über Alternativen nachgedacht, wie Menschen in dieser Klassengesellschaft die Dinge selbst in die Hand nehmen können. Unabhängig davon, inwiefern die Vorschläge der Berliner Aktivisten die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse hinterfragen, ist die Initiative das Ergebnis wachsenden Widerstandes gegen ungebremste Spekulation. Denn wer eine Wohnung in den Ballungszen­tren sucht – was meistens nicht aus Langeweile, sondern aus materieller Not oder Zwangslagen heraus der Fall ist –, hat nichts zu lachen. Unabhängige Studien belegen immer wieder, dass Bestandsmieten dank Modernisierungsumlage und anderer Maßnahmen stetig steigen. Auf der anderen Seite können sich Gering- wie Normalverdiener die Angebotsmieten in Neubauten immer weniger leisten. Hier entlarvt sich das Mantra der Immobilienlobby, welches von den Unionsparteien bereitwillig weiterverbreitet wird: »Bauen, bauen, bauen.«

Wo Wohnraum Ware ist, lässt Widerstand nicht ewig auf sich warten. Wo leerstehende Wohnungen besetzt und Zwangsräumungen verhindert werden, Druck von unten auf vorgeblich »linke« Regierungen gemacht und Miet­erhöhungen nicht zugestimmt wird, da wird eine alternative Form des Zusammenlebens vorstellbar. Werden die Profiteure des Mietenwahnsinns benannt und Freiräume erkämpft, können antikapitalistische Initiativen ihre Wirkung entfalten.

Vor diesem Hintergrund werden in der vorliegenden Beilage verschiedene Akteure betrachtet: Profithaie, in ihrer Existenz bedrohte Mieter, »grüne« Versprechungen und die Bewohnerinnen und Bewohner des ländlichen Raums. So schlüsselt zunächst Heinz-Josef Bontrup, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Westfälischen Hochschule, den Immobilienmarkt in der BRD auf. Anschließend widmet sich Katrin Küfer der Mobilitätsinfrastruktur in Ballungsräumen. Denn zum Traum von lebenswerten Innenstädten gehört unter anderem die Reduzierung des Straßenverkehrs – was im »Autoland BRD« den Interessen einer der einflussreichsten Kapitalfraktionen zuwiderläuft. Für seine Reportage hat Efthymis Angeloudis einen Tag lang die letzte Mieterin eines Berliner Wohnhauses begleitet, dessen übrige Bewohner wegen Sanierungsmaßnahmen und darauffolgender Mietsteigerungen nach und nach ausgezogen sind. Die Immobilie selbst wird derweil von einer Firma an die nächste weiterverkauft.

Über offenkundige Probleme im Kampf gegen die Wohnungsnot und über vorliegende Lösungen hat Gitta Düperthal mit Ulrich Ropertz, Geschäftsführer des Deutschen Mieterbundes, gesprochen. Welche Vorstellungen Bündnis 90/Die Grünen von Stadtentwicklung haben, hat Kristian Stemmler mit deren bisheriger Politik abgeglichen. Ein gern herangezogenes Vorbild für progressive Wohnpolitik im Interesse der Bevölkerungsmehrheit ist das »Rote Wien«. Christian Kaserer wirft deshalb einen Blick auf den gegenwärtigen Wiener Mietenmarkt. Und schließlich widmet sich Bernd Müller den praktisch aufgegebenen ländlichen Räumen sowie den Auswirkungen von Verdrängung auf die »Speckgürtel« deutscher Metropolen.

https://www.jungewelt.de/beilage/art/357404